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Johannes Gutenberg Universität 
Fachbereich Filmwissenschaft 
Proseminar „Thriller“ SS 2000 
Leitung: Dr. Marcus Stiglegger 
„Sieben – Die filmische Darstellung eines Serienmörders“ 
Konrad Licht 
10.1.2001 

Sieben 

Darstellung eines Serienmörders

INHALT 
Einleitung 
Einführung in die Atmosphäre 
Titelsequenz 
4. Die Opfer 
4.1. Maßlosigkeit 
4.2. Habsucht 
4.3. Trägheit 
4.4. Wollust/Stolz 
4.5. Neid 
4.6. Zorn 
5. Der Wandel der Bestrafung 
6. Die Darstellung Does bis zur freiwilligen Stellung 
7. Die Höhle des Löwen 
8. Die Detectives 
9. Der Mensch Jon Doe 
10.Kneipengespräch Summerset / Mills 
11.Restaurantgespräch Summerset / Tracy 
12.Does Wirkung auf die Detectives 
13.Der Wechsel der Athmosphäre 
14.Die Umkehrung Opfer / Täter 
15.Der Mörder als Hauptdarsteller 
16.Zusammenfassung 

1. Einleitung 

In vorliegender Arbeit versuche ich eine Darstellung des Serienmörders Jon Doe in dem Film „Sieben“ von David Fincher zu geben. Dabei betrachte ich Doe in dem komlpexen Netzwerk, welches sich zwischen den Helden, dem Antihelden und schließlich den Rezipienten aufbaut. Ich werde aufzeigen, wie der Film die auftretenden Figuren scheinbar klar in die Rollen der Helden bzw. des Antihelden zwingt, um letzten Endes diese Rollen zu invertieren, wodurch der Rezipient dazu genötigt wird, diesen Rollentausch auf sich selbst zu reflektieren und seine Identifikationsansätze als Bekennung zur Sündhaftigkeit verständlich werden. Diesen Mechanismus versuche ich durch Untersuchung der filmischen und erzählerischen Dimension des Films aufzuzeigen. Im Vordergrund steht dabei die Figur und die Handlung Jon Does, da er als alleiniger „Spielmacher“ fungiert. Die dadurch auf subtile Weise in die Rolle der Nebencharaktere gepressten Polizisten verlangen jedoch auch nach Charakterisierung ihres Profils. Das Aufzeigen der komplexen Struktur zwischen den Akteuren und die sich somit aufbauende Beziehung zwischen Rezipient und Film versuche ich dahingehend zu verwenden, um Interpretationsvorschläge zu liefern. Ich möchte diese nicht als die einzigen Interpretationmöglichkeiten verstanden haben, sondern als mögliche. 

2. Einführung in die Atmosphäre 

In den ersten Sequenzen des Films „Sieben“ von David Fincher werden die Hauptcharaktäre vorgestellt. Die Atmogeräusche des Straßenlärms sind dabei die ersten Eindrücke, die der Zuschauer wahrnimmt. Daraufhin wird Detective Summerset bei seinen morgendlichen Aktivitäten in seiner Wohnung eingeblendet. Wir verfolgen in Detailaufnahmen seine routinierte Vorbereitung auf einen seiner letzten Arbeitstage. Dies geschieht in halbnahen und nahen Kameraeinstellungen und in düsterer Atmosphäre, in welcher nur sein weißes Hemd hervorsticht. 
Daraufhin erfolgt ein harter Schnitt. Bevor man sich räumlich und zeitlich orientieren kann, erblickt der Zuschauer das Opfer eines familieninternen Mordes. Der begrenzt ausfallende establishing shot folgt erst eine Einstellung später. In dieser Sequenz beginnt Fincher den Raum als ein von vertikalen und horizontalen Linien zu inszenieren, was in einem Großteil des Films die Bildkomposition dominieren wird. Das Zurechtfinden des Zuschauers im filmischen Raum wird zudem durch kaum zu durchbrechende Dunkelheit erschwert, was ebenfalls ein durchgängiges Merkmal der filmischen Komposition ausmacht. Die Dialoge fallen zudem bruchstückhaft aus, da gleich zu Beginn des Gesprächs zwischen Summerset und seinem neuen Partner Mills ein Schnitt außerhalb des Gebäudes, weg von den Personen, stattfindet. In diese Außeneinstellung, die aus der Froschperspektive gefilmt ist, treten wenig später die beiden Detectives ein und führen ein spannungsgeladenes Gespräch. Dieses findet im strömenden Regen statt, der wie auch die vielen vorbeilaufenden Passanten die Sicht auf die Protagonisten erschwert. 
Fincher leitet den Film mit dunklen Bildern ein, die meist in halbnahen und nahen Einstellung gefilmt wurden. Durch fehlende establishing shots und offene Bildformen ist es dem Zuschauer nicht eindeutig möglich sich im filmischen Raum zu orientieren. Der Schauplatz kann bereits in den ersten Szenen als überlaufen und hektisch charakterisiert werden. Dies äußert sich auch in den folgenden Bildern, in denen Summerset versucht, dem Lärm und der Unordnung mittels seines Metronoms zu entfliehen. Filmisch wurde dies durch abwechselnde Schnitte zwischen langsamen Zufahren auf Summersets Gesicht, während er im Bett liegt, und ebenso langsamen Zufahren auf das Metronom umgesetzt und mit asynchronem Lärm der Straße untermalt. Einen weiteren Widerspruch stellt die Lichtgestaltung in dieser Szene dar. So wirkt das Schlafzimmer als Ganzes dunkel, jedoch erhellen die spärlichen Bettlampen Fragmente des Raumes. 
Erst im Anschluss beschriebener Bilder hat die Titelsequenz ihren Platz gefunden, sodass die Grundstimmung des Filmes dem Zuschauer bereits zuvor vertraut gemacht wird. 

3. Titelsequenz 

In der nun folgenden Titelsequenz werden Methoden und Charakterzüge des im Film behandelten Serienmöders Jonathon Doe angedeutet. Durch subjektive, sehr nahe Kameraeinstellungen verfolgen wir in rasanten Schnitten kleine Details aus Does „Lebenswerk.“ Es werden zahllose Bücher und Zeitungsartikel eingeblendet, aus denen Doe seine Inspiration erlangt. Seine eigenen Lebensweisheiten können wir in einem seiner unzähligen Notitzbücher ausschnittsweise nachlesen. Oft werden dabei Bilder von Berichten oder Notitzen verfremdet dargestellt: mal sehen wir sie invertiert oder doppelt- und dreifach- belichtet, mal mit Hilfe des A-B-Schnitt Verfahrens, in einer anderen Einstellung sind sie „auf den Kopf gestellt.“ Aus seinen Notitzen- seinen geistigen Ergüssen und aus ereignisrelevanten Zeitungsartikeln streicht er wichtige Wörter mit einem fetten Filzstift bzw. mit seinem tintenverschmiertem Finger durch. In einem anderen Frame verdeckt Blut einen Ausschnitt eines Zeitungsartikels. Einem (seinem?) Phantombild werden die Augen schwarz übermalt, woraufhin plötzlich das gesamte Gesicht hinter der Farbe verschwindet. Durch all diese kurzen Einstellungen wird uns frühzeitig bewusst, dass der Film „Sieben“ von einem „verzerrten“ und schwer zu begreifenden Menschen handelt. 
Mit vielen Negativen und Hochglanzpapieren, auf denen unter Einfluss von Entwicklerlösung Schwarzweißfotografien seiner Opfer erscheinen, deutet der Vorspann Does Leidenschaft für die Fotografie an. Immer wieder sehen wir Fotografien seiner Opfer und bizarr religiöse Posen unbekannter Männer, oder wir verfolgen den Schnitt einer Schere entlang des Bildstriches eines Negatives. 
In extremen Detailaufnahmen beobachtet die Kamera desweiteren mikroskopisch genau, wie Doe einen Rasierer aus der Schutzpackung nimmt, um sich seine Haut von den Fingerspitzen zu schneiden. In ebensolchen Makroaufnahmen sehen wir einige Sekunden später den mit einem Pflaster beklebten Finger, der eine Nadel zückt, um die Notitzen zu einem Buch zu binden. 
All diese Bilder erzählen in Bruchteilen von Sekunden von einem Mann, der glaubt, der Welt etwas sagen zu müssen. Gemischt werden die Aufnahmen mit einem unglaublichen Wirrwarr von Kritzeleien und mysteriösen Zahlenkombinationen. Unterlegt wurde die Eingangssequenz mit Musik von Nine Inch Nails, die aufgrund verzerrt klingender Instrumente und schnellem Rhythmus die Wirkung des mysteriös Fremden unterstreicht. Und ganz nebenbei erfährt man, dass man dabei ist, sich auf den Film „Sieben“ von David Fincher einzulassen… 

4. Die Opfer 
4.1. Maßlosigkeit 

Bereits die Einleitung in den ersten Fall, den die Detectives Mills und Summerset bearbeiten, welcher sich später als eine Tat Does entpuppt, führt die Beamten in eine dunkle, verborgene Gegend der Stadt. Mills steht im Regen und tritt dabei auf der Stelle, so wie es ein Beutetier tut, das dem Jäger Auge in Auge gegenübersteht. Die absolute Dominanz von geometrischen Figuren im Hintergrund verwandelt die Szenerie in eine verendete, menschliche Fehlkonstruktion. 
Die Detectives begeben sich hinter einen Zaun, auf welchem ein Schild mit der Aufschrift „Lot for sale“ zu erkennen ist. Verborgen hinter diesem Zaun werden die Protagonisten mittels Kamerafahrt und Froschperspektive als „Eindringlinge“ in eine dunkle, private Szenerie inszeniert. 
In der heruntergekommenen, düsteren Wohnung wird das erste Opfer Jon Does von Polizeibeamten aufgefunden. Nur der Taschenlampenstrahl der Detectives erhellt den Raum. Auch die Lampen an den Wänden vermögen nicht, die düstere Atmosphäre, die sich bis zur Schlusssequenz des Filmes breit macht, zu durchbrechen. Es krabbeln Küchenschaben auf dem Boden entlang. Zwei Fernsehbildschirme flimmern unbeachtet vor sich hin. Und am Tisch sitzt ein fetter Kerl, sein Gesicht in Spaghetti vergraben. Oft ist die Kamera in Höhe der Augen des Opfers und blickt so von unten auf die Beamten. Ständig verändert sich der Ausschnitt des Bildkaders: mal durch Kamerafahrten oder durch Schwenken oder Neigen. Die Einstellungsgrößen sind stets nahe, halbnahe oder gar detailiert. Ebenso sind die Einstellungsgrößen in der Pathologie gewählt. Auch hier werden die Detectives immer wieder aus der Höhe des auf dem Obduziertisch liegenden Opfers gefilmt. Dabei nimmt der Zuschauer im Vordergrund des Bildes die Leiche in Auszügen war, was seine zentale Bedeutung in dieser Szene und der zuvor ausdrückt. 
Die Autopsie bringt ein wenig Licht in den Fall: Die Dehnung seines Magens und des 12-Fingerdarms führten zu inneren Blutungen im Rectus und der Bauchmuskulatur. Die Untersuchungen zeigen, dass der qualvolle Tod länger als 12 Stunden gedauert haben muss. Über diese Zeit wurde der Mann gezwungen, Dosenfutter in sich zu zwängen. Als er mit der Zeit ohnmächtig wurde oder sich übergeben musste, trat ihn Doe und befahl ihm mit vorgehaltener Waffe, weiter zu fressen. 
Die Einführung in das Polizeirevier ist charakteristisch für Szeneneinleitungen in dem Film. Eine kurze Außenaufnahme des Gebäudes mit vielen Linien und geometrischen Formen stellt die erste Einstellung dar. Daraufhin folgen nahe Einstellungen von Akteuren – mal aus Unterperspektive und mal aus Augenhöhe gefilmt. Erst nach diesen Einstellungen erfolgt ein establishing shot, der es dem Zuschauer nicht gerade leicht macht, sich im filmischen Raum zu konzentrieren, da er kurz ausfällt und zudem nicht viele Einblicke gewährt, aufgrund der dunklen Atmosphäre und der Bildkomposition des offenen Raumes. Figuren verdecken oft Fenster oder verglaste Türen, hinter welchen sich stets Personen bewegen, die mit hektischen Aktionen auffallen. Ein weiterer wesentlicher und konsequent durchgeführter Aspekt der Ablenkung des Zuschauers stellt die Tonmischung dar. Überall sind hupende Autos, klingenlde Telefone, sich unterhaltende Menschen oder Geräusche von Maschienen zu hören. Die Atmos suggerieren im Hintergrund Eindrücke einer überbevölkernden Großstadt, die in ihrem eigenen Gestank zu ersticken droht. 
Summerset erkennt bereits nach zuvor beschriebener Tat, dass es sich hierbei nicht um einen gewöhnlichen Mörder handelt: „Wenn man jemand umbringen will, fährt man hin und erschießt ihn. Aber man verliert nicht jede Menge Zeit dafür, es sei denn, die Tat an sich hat eine Bedeutung.“ Im Verlauf der Ermittlungen stößt Summerset auf einen Hinweis, den der Mörder den Ermittlern zukommen lässt: Im Magen des Opfers wurde Plastik gefunden. Dieses stammt, wie sich später herausstellt, von dem Boden vor dem Kühlschrank des Opfers. Während Summerset dem Hinweis des Mörders nachgeht, erklingen im Off Schreie, die denen von Fledermäusen ähneln. Verwundert schaut sich Summerset daraufhin um. Ein weiteres mysteriöses Geräusch aus der Nähe des Kühlschranks bringt ihn erst auf den Gedanken, sich das Kühlgerät näher anzuschauen. Schon früh lässt Fincher dadurch den Zuschauer spüren, dass es sich nicht um eine Routineermittlung handeln kann. Hinter dem Kühlschrank findet Summerset einen Zettel, auf dem „Lang ist der Weg und beschwerlich, der hinaus ins Licht führt aus der Hölle“ steht und das Wort „Gluttony“ mit Fett geschrieben. Hier wird deutlich, dass der Mörder ein religiöses, bizarres Spiel mit den Ermittlern spielen will; ein Spiel, das nach Does Regeln gespielt wird. Doe hätte den Zettel auch einfach neben das Opfer legen können, doch durch seine verborgenen Hinweise hat Doe alle Fäden der Ermittlungen in der Hand. Er legt fest, wann und was die Polizeibeamten Näheres über seine Taten erfahren. Und diese haben keine andere Wahl, als sich darauf einzulassen. 

4.2. Habsucht 

Deutlicher als bei dem Weg zu dem Tatort des Maßlosigkeitopfers wurde bei dem Habsuchtopfer das Erreichen des Tatorts als ein Weg zu etwas Fremden in Szene gesetzt. Bevor Detective Mills die Kanzelei des Opfers erreicht, muss er einen langen verzweigten Gang entlanggehen. Dabei geht er mit gesenktem Kopf voran, und es klingen im Hintergrund bizarre Klänge. Gefilmt wurde dies mittels entfesselter Kamera und beschleunigter Montage: abwechselnd sieht man Mills von vorne und mal von hinten. 
Mit seinem zweiten Mord erreichte John Doe die erwünschte mediale Aufmerksamkeit. In den Zeitungen erscheint der Mord an dem härtesten Strafverteitiger der Stadt, Ellai Gold, als Titelschlagzeile. Der Straßenzeitungsverkäufer zählt das mittels der Mordschlagzeile gewonnene Geld nach. Für die Presse sind die Taten ein mehr als willkommenes Fressen: „Crime sells.“ Die Fragen der Journalisten an den Polizeisprecher sind unendlich. Das Fernsehen berichtet vor Ort von Does offenbar zweiter Tat. Während wir in der Sequenzeinleitung direkt an der Befragung teilhaben, so betrachten wir später – mit Mills- in der Kanzelei die Lifeübertragung auf zwei Bildschirmen. Wirkungsvoll dabei ist die Wahl der Bildkomposition mit der Montage verknüpft. So sehen wir zu Beginn Mills zentriert im Bild. Daraufhin folgt ein Schnitt in den Raum, so dass wir sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite der Leinwand einen Monitor sehen. Nun folgt ein Umschnitt auf Mills, wie er sich gerade zur linken Bildseite bewegt. Später fängt die Kamera sowohl Mills als auch die Berichterstattung im Fernsehen ein, nur dass Mills eines der beiden Fersehgeräte verdeckt. Unmittelbar daraufhin bewegt sich Mills zwischen die beiden Bildschirme. Er ist bildlich vollkommen von der Ermittlung umgeben und in ihr gefangen. Wie sehr der Fall Mills mitnimmt und ihn gar an seine Grenzen bringt, setzt Fincher symbolisch in Szene. Wir nähern uns Mills’ Gesicht bis in die Nahaufnahme und sehen parallel dazu geschnitten den Bildschirm immer näher. Schließlich kann Mills nicht anders und schaltet mit einem wütenden und zugleich verzweifelten Gesichtsausdruck per Fernbedienung die TV-Geräte aus. Diese Bewegung erinnert an eine typische Westernheldenbewegung in einem finalen Duell. Bestärkt wird dies durch den ständigen Wechsel zwischen Schuss und Gegenschuss, der ebenfalls mit der Wahl der Kameraeinstellungen und des Montagerhythmus an ein Duell erinnert. Nach Beendigung dieser Gegenüberstellung zwischen Mensch und Maschine oder Ermittler und Mörder und den nahen Einstellungen folgt ein harter Schnitt in die Halbtotale mit extremer Obersicht. Hierbei erkennt der Zuschauer, das das Wort „Greed“ mit Blut auf den Boden geschrieben wurde. 
Der Mörder betrat am Freitag die Kanzlei bevor selbige ihre Pforten schloss. Anschließend misshandelte Doe Strafverteidiger Gold mehrere Tage. Doe forderte von ihm, er solle ein Pfund Fleisch von seinem Körper abschneiden, um mit dem Leben davonzukommen. Doch Gold verlor das Spiel. Er verblutete in seiner eigenen Kanzlei. Mit dessen Blut ummalte Doe die Augen von Mrs. Gold auf einem Foto. Auch bei dieser Tat gibt Doe Mills somit einen Hinweis. Und wie es sich herausstellt, kann Mrs. Gold tatsächlich die Ermittlungen vorantreiben. Sie bemerkt auf den Polizeifotos, dass ein Gemälde über Kopf an der Wand hängt. Nach nervöser Suche finden Detective Summerset und Detective Mills hinter dem Gemälde Fingerabdrücke, die „Help me“ ergeben. 
Als die Polizei die Fingerabdrücke identifizieren können, glauben sie den Täter gefunden zu haben. Der Mann heißt Theodor Allen, genannt Victor. Er ist ein Geisteskranker, Vergewaltiger, Waffendieb und Dorgenabhängiger. Doch Mills und Summerset sind da eher skeptisch, auch wenn Mills fest davon überzeugt ist, den Mörder irgendwann zu fassen. Jedoch glauben beide nicht, dass der Mörder es ihnen so leicht macht. Sie trauen ihm viel mehr Methodik zu. 

4.3. Trägheit 

In der Gewissheit, den Mörder zu schnappen, stürmt das Einsatzkommando Victors Wohnung. Wieder dringen die Beamten in eine stockfinstere Wohnung ein. Victor hatte sich laut Polizeiangaben selbst aus dem Verkehr gezogen, nachdem er trotz harter Verbrechen dank seinem Anwalt, dem Habsucht-Opfer, ein mildes Strafmaß erhielt. Erneut sehen wir die Wohnung vorwiegend durch Nah und Detailaufnahmen. Auch die gewohnte Untersichtperspektive wird erneut eingesetzt. Während der hektischen Suche der Polizisten nach Victor wurde verstärkt die entfesselte Kamera benutzt, um die Nervosität auch mittels der visuellen Wahrnehmung auf den Zuschauer zu übertragen. Unterstützt wird diese Wirkung zudem durch Reißschwenks, welche die suchenden Blicke der Beamten verdeutlichen. Die Lichtstrahlen der Beamten durchkreuzen den Raum und sammeln sich schließlich auf einem Punkt, der irgendwo hinter der Kamera ist. Die Kamera fährt zurück, weg von den Polizisten, was eine bedrohliche Wirkung hat, da man stets etwas im Vordergrund des Bildes zu sehen erwartet. Unmittelbar nachdem schließlich etwas am unteren Bildauschnitt erscheint, folgt ein Schnitt in die Vogelperspektive, die den Überblick verschafft, dass der vermeintliche Täter im Bett liegt. Daraufhin wechselt die Kamera in Höhe Victors. Der Wechsel zwischen der Kamerahöhe verdeutlicht die angespannte Situation, die schließlich in Victors Husten gipfelt, woraufhin alle im Raum befindlichen Personen ihre Verfassung verlieren: der anonyme Polizist fällt zurück auf den Boden, Summerset zuckt in sich zusammen und Mills richtet blitzschnell seine Waffe auf Victor. 
Vor einem Jahr fesselte Doe Victor an sein Bett, verabreichte ihm Medikamente, Drogen, entnahm ihm alle möglichen Proben, schob ihm Schläuche in sein Genital und dokumentierte seine Verwesung mit einem Fotoapparat. Für dieses Dokumentationsmaterial bezahlte er Victor die Miete und sorgte für angenehme Luft durch einen Wald aus Duftbäumen. 
Als Doe sich Strafverteitiger Gold „widmete“, nahm er Victors abgetrennte Hand mit und schrieb den Hilferuf an die Wand. Daraufhin lockte er die Polizei in eine sichere Falle, aus der sie mit der Erkenntnis entlassen wurden, dass der gesuchte Mörder ein Perfektionist auf seinem Gebiet ist. Das Spiel verläuft klar nach seinen Regeln. Er entscheidet nicht nur über seine Taten, sondern zwingt seine Opfer, an seinem Werk teilzuhaben. Zusätzlich entscheidet Doe, inwieweit die Ermittlungen der Polizei zu Erfolg führen. 
Nachdem Victor in einem Krankenwagen abtransportiert wird, sehen wir ein Bild voller symbolischer Aussagekraft. In dem Treppenhaus, indem sich Mills mit Summerset unterhält, ist die Figur des jungen Detectives so positioniert, dass er vor einem verregneten Fenster steht, das vor einer Treppe angebracht ist, die hinunter führt. Weiter links im Bild sehen wie ein Polizeiband vor der Treppe, die hinauf führt. Hinter diesem Absperrband scheint das Sonnenlicht hell herein. Mills befindet sich somit auf der dunklen Seite, die hinabführt, geradewegs in das Verderben. Setzt man diesen Gedanken fort, so hat auch der Pressefotograf, der sich später als Doe höchstpersönlich entpuppt, eine ähnliche symbolische Wirkung. Er erklimmt die Treppen von unten hinauf und schießt grelle Blitze auf Mills ab. Das Spiel mit dem Licht und dem Höhenunterschied entpuppt sich somit als religiöse Metapher und als Charakterisierung der Figuren. 
Symbolischen Charakter hat ebenfalls die Szene im Krankenhaus. Victor wird hier in Quarantäne gebracht, und man beobachtet ihn hinter einer Tür durch eine medizinische Schutzvorrichtung, bis schließlich die Sicht durch eine spanische Wand verdeckt wird. Dies kann als Inszenierung des außerhalb der Gesellschaft Stehenden gedeutet werden, die Doe für ihn vorgesehen hat. 

4.4 Wollust / Stolz 

Die nächsten beiden Morde behandelt der Film recht skizzenhaft. Dadurch scheint alles auf ein großes Finale hinauszulaufen. Seine nächsten Opfer sind Frauen. Die eine ist eine Prostituierte, die von einem panischen Freier gezwungenermaßen totgefickt wird und somit das „Lust“-Opfer darstellt. Um zu den Ermittlungen dieses Falls zu kommen, muss Detective Mills tiefer als zuvor in die Abgründe der Menschheit gehen, sowohl metaphorisch als auch im eigentlichen Sinne. Tief unten im Keller eines Bordells hat der Mörder sein Unwesen getrieben. Bei den Verhörungen der Zeugen verwendet Fincher die Parallelmonatge, sodass man sowohl das Verhör, welches von Mills durchgeführt wird, als auch das von Summerset miterlebt. Mittels eines wirkungsvollen Abschlussbild dessen, welches beide Räume mit jeweils einem „einsamen“ Detective durch innere Bildmontage zeigt, versinnbildlicht Fincher die Nachdenklichkeit und Ratlosigkeit, die der Fall in den beiden Detectives auslöst. 
Dem „Pride“-Opfer zerschnitt Doe das Gesicht, genauer gesagt, er schnitt ihre Nase ab. Ihre Entstellung konnte sie nicht ertragen, da sie nach Does Worten innerlich so hässlich war, sodass sie äußerlich schön sein musste, um ein halbwegs erträgliches Leben führen zu können. 

4.5. Neid 

Bei dem sechsten Opfer ändert Jon Doe interessanterweise seine Vorgehensweise. Bei der „Neid“- Tat wird nicht mehr der Sünder, sondern der Anreiz, also die Versuchung ermordet: Nachdem Detective David Mills seine Wohnung am Morgen verlassen hat, stattet Doe der Frau des Detectives einen Besuch ab. Wie später bekannt wird, beneidet Jon Doe das einfache Leben des Pärchens und möchte daran teilhaben. Als ihm das aus ersichtlichen Gründen nicht gelingt, bringt er Mrs. Mills um und trennt ihr den Kopf vom Körper. All dies erfährt der Zuschauer jedoch lediglich im Nachhinein durch Erzählung. Die Tat wird bis dahin nicht angedeutet. Erst als Doe sich freiwillig der Polizei stellt und anbietet, die letzten beiden fehlenden Morde aufzuklären, lernen wir und die Detectives das ganze „Werk“ kennen. 

4.6. Zorn 

Die Detectives Mills und Summerset begleiten Jon Doe zu dem Ort, wo die Leichen vermeintlich versteckt gehalten werden. Inmitten einem spannungsgeladenen Wald aus elektrischen Hochspannungsmasten übergibt ein unwissender Lieferbote Detective Summerset den Kopf von Mrs. Mills. Dadurch erahnt Summerset, wie Does „Werk“ enden wird und bringt die Worte „John Doe ist uns überlegen“ über seine Lippen. Unmittelbar danach folgt ein Umschnitt auf John Doe aus einer extremen Untersichtsperspektive, die ihn als eine erhabende, fast göttliche Figur erscheinen lässt. Eine Korona, die sein Haupt umgibt, verstärkt dieses Bild noch zusätzlich. 

Während dessen gesteht Doe Mills seine Tat. Summerset eilt in großen Schritten herbei und versucht, das Unvermeidliche doch noch abzuwenden. Die verwackelte, spannungserzeugende Handkamera verfolgt ihn dabei. Zuvor sahen wir ihn mit Hilfe des Point of View Shots eines Helikopterbeamten. Diese Einstellung deutet an, dass Summerset zu diesem Zeitpunkt noch zu weit von den beiden anderen Figuren entfernt ist, um effektiv in das Geschehen eingreifen zu können. Doe versucht währenddessen Mills davon zu überzeugen, dass er ihn zum Witwer gemacht hat. Dabei wählte Fincher hauptsächlich das Schuss – Gegenschuss – Verfahren. Nachdem Summerset die beiden erreicht hat und Doe auch das ungeborene Kind erwähnt, welches in Tracy heranwuchs, wird Doe uns immer weniger gezeigt. Er hat in Mills bereits genug Zorn erweckt, um Mills die Rolle der Vergeltung aufzuzwingen und verhält sich dementsprechen ruhig und abwartend. Jedoch muss Mills noch einige Sekunden mit sich selbst kämpfen, um die Tat vollbringen zu können. Dies wird bildlich zum einen durch Brad Pitts Schauspiel deutlich, zum anderen durch die Schuss-Gegenschuss Einstellungen, die nun Mills und Summerset einbeziehen. Letzerer versucht Mills zu überzeugen, die Beherrschung wieder zu finden. Dieser Dialog formuliert den Antagonismus bezüglich der Beherrschung seiner Gefühle, der in Mills stattzufinden scheint. Jedoch verfehlt Summerset sein Ziel. Nachdem Mills seine Waffe immer wieder neu auf Doe zielt, wobei er in diesen Bildausschnitten perspektivisch immer direkt auf die Kamera zielt, schießt er Doe schließlich nieder. Auch nachdem Doe regungslos auf dem Boden liegt schießt Mills weiter auf ihn ein. Dabei nimmt die Kamera wieder die subjektive Einstellung des (toten) John Doe ein. Zweimal verdeckt dabei das Mündungsfeuer das Gesicht des Protagonisten. Auch Summersets Gesicht ist in dieser Einstellung nicht zu erkennen (siehe Bild). Eine mögliche Interpretation dessen ist die Aufforderung Finchers an den Zuschauer, sich selbst nicht immer automatisch und ohne zu hinterfragen auf der guten Seite zu definieren. Vielleicht wollte Fincher damit die amerikanische Gesellschaft mit ihrer religiösen Fassade dazu auffordern, sich selbst kritischer einzuschätzen. Denn im Verlauf des Films entwickeln sich die Detectives zu den Identitätsfiguren des Zuschauers. Herausgerissen aus unserer Hoffnungsebene, dass wir uns mit dem eindeutig Guten – namentlich David Mills – identifizieren dürfen, müssen wir nun mit ansehen, das Mills ganz und gar nicht tugendhaft handelt, wie er es von sich selbst dachte. Zudem ist die Figur, auf die Mills nun schießt, die Figur, die bisher als das Extrem des Sündhaften galt. Nun zum Ende des Films, liegen wir also am Boden und „sehen durch die Augen des toten Killers“, was zu einer gewissen Identifikation mit ihm führt. Auf die Intention des Films möchte ich später noch genauer eingehen. Vorerst werde ich jedoch weiterhin Does Werk und die Darstellung Does aufzeigen. 

5. Der Wandel der Bestrafung 

Wie beschrieben, waren Does erste Opfer in seinen Augen sündhafte Menschen. Als er im Polizeiwagen rechtfertigen will, warum er sie ermordet hat, meint er, dass es sein größter Wunsch sei, jede Sünde gegen ihren Sünder zu kehren. Er macht aus den Sünden der Mitglieder der (amerikanischen) Gesellschaft überspitzte Reflexionen ihrerselbst. Dabei verwendet er die sieben Todsünden in ihrem wortwörtlichen Sinne und benutzt sie, um auf die versteckten und alltäglich gewordenen Sünden hinzuweisen. 
Bei seiner Neidtat wandelte sich seine Opferwahl. Hier ermordete er den Reiz zum Neid und bekennt sich selbst als sündhaften Menschen. Wie auch Detective Summerset bekennt er sich somit als Sympathisant der sündhaften Menschen. Demzufolge lässt er sich von Mills bestrafen und macht somit klar, dass die Sünde in jedem steckt. Durch seine eindringliche Art und Weise, dies zu demonstrieren, erhofft sich Doe, die Menschen darauf aufmerksam zu machen. Dafür opferte er sieben Menschenleben, seines eingeschlossen. 

6. Die Darstellung Does bis zu seiner freiwilligen Auslieferung 

Bewusst erkennbar ist John Doe bis zu dem Zeitpunkt seiner freiwilligen Selbstauslieferung nirgends. Er erscheint lediglich als eine Schattenfigur oder als Reflexion in einer Straßenpfütze. Besonders deutlich bzw. undeutlich ist dies in der Verfolgungssequenz in Does Wohnhaus. Hier jagt Detective Mills einer schwarzen Figur mit einem Hut hinterher. Die entfesselte Kamera dient dabei als Spannungssteigerung, wie auch das visuell ungewöhnliche Rollen der Kamera, als Mills über einen Abgrund springt. Symbolisch wirkt die Inszenierung Does, wenn sich Jäger und Gejagdter schließlich umkehren: nachdem er Mills vom Dach eines LKWs aus niederschlägt. Hierbei sehen wir die Aktion aus einer extremen Unterperspektive, die uns den Schlag als etwas fast göttliches zeigt. Noch deutlicher wirkt darauf Does Herabsteigen von dem LKW. Hierbei sehen wir lediglich einen Fuß in einer Detaileinstellung, der langsam und beinah zelibrierend sich den Weg nach unten bahnt. Als Doe Mills eine Waffe an die Schläfe drückt, erkennen wir lediglich seine Pistole – sein Kopf ist völlig unscharf und verborgen in dem dahinter strömenden Regen . 

Ein weiteres Mal bekommt der Zuschauer Doe in Victors Treppenhaus zu sehen. Hierbei gibt er sich als Pressefotograf aus und schießt drei Bilder. Mills, der sowieso schon gereizt ist, da er erkennt, dass der Mörder mit den Detectives gespielt hat, bringt das völlig aus der Fassung. Er prügelt auf den Fotografen ein und beschimpft ihn. Durch diese Zornausbrüche hat Detective Mills seinen Opferstatus besiegelt. Doe lernte somit diesen Charakterzug an ihm kennen und ist sich gewiss, das Mills für ihn als Marionette fungieren kann und wird, wenn er ihn nur ordentlich herauslockt. Durch ein Telefonat gibt Doe im Verlauf des Films seine Absicht bekannt, seinen Plan zu ändern. Daraus kann man schlussfolgern, dass die gewonnene Achtung vor den Polizisten, die Doe entwicklete, nachdem er die Detectives persönlich kennenlernte, ihn in seiner Opferwahl beeinflusst haben. 
Der Fotograf wurde im Übrigen für den Zuschauer als nicht erkennbar inszeniert, da er eine Sonnenbrille trägt und zudem die meiste Zeit nur von hinten zu sehen ist. 
Das Inszenieren des „Schattenmanns“ hat den Effekt, dass der Zuschauer – ebenso wie die beiden Detectives – lediglich die Konsequenzen der Taten miterleben kann. Der Mensch, der hinter diesen Morden steckt, bleibt charakterlos. Dadurch begeben wir uns stark in den Bann der ermittelnden Polizisten, da wir selbst gezwungen werden, den Fall mitzuermitteln, wodurch eine Identifikation mit dem Polizeibeamten unausweichlich erscheint. Diese ist für die Wirkung und die Aussagekraft des Films von großer Bedeutung. Darauf möchte ich jedoch später genauer eingehen. 
Das erste Mal erkennen wir Doe, als er sich freiwillig der Polizei stellt. In dem Augenblick blinzelt Mills, als ob er es nicht glauben kann. Währenddessen ist er vor der amerikanischen Flagge zu sehen, was zumindestens das amerikanische Publikum darstellen könnte. Erst in dem Moment, als Mills den Mörder zu Gesicht bekommt, erkennen auch die Zuschauer Does Gesicht zum ersten Mal. 

7. Die Höhle des Löwen 

In Does finsterer Wohnung entdecken die Detectives, die wir beide mittels Parallelmontage verfolgen können, viele mysteriöse Gegenstände. Dabei ist die Kamera fast ausschließlich in Höhe der betrachteten Objekte positioniert. Über Does Bett hängt ein rot leuchtendes Kreuz, welches sein Nachtlager einem Schrein ähneln lässt. In einem Schubfach liegen zahlreiche Medikamentenbehälter zusammen mit der Bibel. Dieses Bild symbolisiert Does Wesen, nämlich das eines psychopathischen Religionsfanatikers. In einem anderen Schrank hängen mehrere, frisch aus der Reinigung kommende, weiße Hemden. Das geheimnisvolle Verborgene in Does Wesen wird durch die vielen Sicherheitsschlösser an der Tür untermauert. Jedes Objekt seiner Wohnung deutet spezifische Charakterzüge an. Die 2000 Notitzbücher in den Regalen enthalten wirres Gekritzel, seine geistigen Ergüsse. Der Zuschauer befindet sich in der Höhle eines Ungeheuers. Winzige Details aus Does Alltag formen ein imaginäres Bild von dem Besitzer dieser mysteriösen Unterkunft. Man weiß, dass Doe alleine lebt und keine Kontakte in dem anonymen Wohnblock pflegt. In dieser Wohnung, in der die Detectives nach Hinweisen suchen, zog sich Doe zurück, um in seiner phantastischen Welt seine Taten vorzubereiten. Für den Zuschauer, der Doe bisher lediglich als charakterlose Schattenfigur wahrnehemen konnte, verkörpert die Wohnung unbewusst förmlich ihren Besitzer. Die Räumlichkeiten beginnen zu leben, indem sie über Doe unaufhörlich „erzählen.“ Unzählige Nahrungsmittel in Dosen verpackt deuten auf sein Habsuchtopfer hin. Victors abgetrennte Hand erinnert an das Trägheitsopfer. Auch sein nächstes Opfer, die Prostituierte, wird bereits auf einem Foto vorgestellt. Über dieser Fotografie hängt eine Rechnung aus „Wild Bills Leather Shop“, wo die Detectives später nach neuen Information suchen. Als direktes Ansprechen an den Zuschauer ist Mills Kaderumrandung zu verstehen: In der Dunkelheit der Wohnung sind die Strahlen der Taschenlampe das Synonym für die Ermittlung der Detectives. Nur das, was sie mit ihrem Licht erfassen, wirkt bewusst auf ihre visuellen Sinne und wird somit zum Ermittlungsobjekt. In einer Einstellung umrandet Mills den Bildkader zweimal. Dadurch wird deutlich, wen der Film tatsächlich entlarven will: nicht den abstrakten Serienmörder, sondern die Rezipienten oder noch verallgemeinernder gesagt, die gesamte (amerikanische) Gesellschaft. 
Als Mills die rot beleuchtete Entwicklungskammer betritt, scheint es, als habe er das Herz der Wohnung betreten. In dieser Phase erlebt die Sequenz ihren deutlichsten Spannungsanstieg. Durch Parallelmontage zu Summersets Ermittlungen, der gespannt seine Pistole schussbereit macht, und durch das Einsetzen der Musik, spitzt sich die Situation zu. Außerdem unterstützt das Knarren des Fußbodens und das Quietschen der sich langsam öffnenden Tür die Spannungshaltung. Die Wohnung selbst scheint nervös zu werden: Die zum Trocknen aufgehängten Bilder vibrieren. Dazu erklingt ein Geräusch, das an Millionen Glockenblumen an den Schuhen des Todes höchstpersönlich erinnert. Der Spannungshöhepunkt ist der Moment, als Mills Summerset und den Zuschauern die wässernden Bilder des angeblichen Pressefotografen aus dem Treppenhaus zeigt, auf denen Mills zu sehen ist. Dadurch wird dem Zuschauer bereits klar, in welcher Rolle sich Mills tatsächlich befindet. Nämlich in der, in welcher jede Person ist, die Doe auf seinen unzähligen Schwarzweißfotografien belichtet hat. Auch seine kopfgeneigte Sitzposition verdeutlicht in einer Einstellung seinen Opferstatus. Erkennen kann er seine Lage jedoch noch nicht. Zwar bemerken die Detectives, dass Jon Doe die Prostituierte auf dem Foto ins Auge gefasst hat, auf seine Person kann Mills die Opferrolle jedoch nicht beziehen. Noch immer glaubt er, dass er es ist, der Doe auf den Fersen ist und nicht umgekehrt. 
Um überhaupt die Wohnung Does durchsuchen zu können, musste Mills seine vorgeschriebene Grenze durchbrechen und ohne Durchsuchungsbefehl die Tür eintreten. Bereits hier konnte Doe ihn soweit bringen, die Dienstvorschriften klar zu brechen, nachdem die mißglückte Verfolgung darin endete, das Doe seine Waffe auf den Polizisten richtete. Zum Ende des Films macht Doe sich genau diese Schwäche des Detectives zu Nutze und gibt seinem Werk dadurch das große Finale. 

8. Die Detectives 

Die beiden Polizisten gehen mit äußeren Einflüssen differenziert um. In voranschreitenden Ermittlungen bremst Summerset Mills immer ein wenig in dessen Emotionen. Am deutlichsten wird dies in zwei Szenen, in denen Mills seine Waffe auf Doe richtet: sowohl bei Does freiwilliger Auslieferung als auch in der Schlusssequenz versucht Summerset, Mills dabei zu beruhigen. 
Summerset versucht Mills davon zu überzeugen, dass er bei diesen Ermittlungen seine Gefühle ausschalten müsse. Mills verweigert das, da er nach eigenen Angaben von seinen Emotionen lebt. Summerset wiederum ist der typische Realist, dessen Träume und Hoffnungen verklungen sind. Er glaubt nicht daran, dass der Fall eines Tages aufgeklärt wird. Zu oft hat er schon miterleben müssen, dass Hinweise in Sackgassen führten und somit Morde ungesühnt blieben. 
Während der Arbeit ergänzen sich die beiden Partner. Als Summerset in der Bibliothek nach den Beweggründen des Mörders sucht, versucht Mills zu Hause, die Fakten aus Polizeiberichten zu einem Bild zu Formen. Die Detectives kommen sich erstmals einander näher, als Mills` Frau Summerset zum Abendessen einlädt. Jedoch wird dieses Annähern in Mills’ Wohnung durch häufiges räumliches Trennen abgeschwächt. Hierbei wird sehr genau beobachtet, wenn Mills beispielsweise eine Tür zwischen sich und Summerset schließt. Erst gegen Ende des Films sind sich die Detectives so nahe gekommen, dass sie miteinander lachen können. 
Im Verlauf der Ermittlungen entwickeln die beiden Polizisten auch eine gewisse Beziehung zu dem Mörder. Sie fühlen sich von seinen Taten angesprochen, meinen, er predigt für sie. Später bezeichnen sie ihn sogar als ihren Mörder. Beide brennen darauf, ihren Mörder zu schnappen, jedoch als eine direkte Gegenüberstellung in seiner Wohnung bevorsteht, lehnen es beide ab, sich mit ihm zu unterhalten. Dabei wird deutlich, dass sie ein wenig hilflos wirken, wenn sie selbst die Regeln des Spiels in die Hand nehmen wollen. Daraufhin verbergen sie diese Hilflosigkeit hinter gesellschaftlichen Regeln. Sie begründen es damit, dass sie eigentlich gar nicht dazu berechtigt seien, das Spiel nach ihren Regeln laufen zu lassen. 

9. Der Mensch Jonathon Doe 

Jonathon Doe als Mensch zu charakterisieren, erscheint unmöglich. Er muss vor Jahren sein menschliches Denken und Leben aufgegeben haben, um seiner göttlichen Eingebung nachgehen zu können. Von da an war er besessen davon, die Menschen davon zu überzeugen, dass seine Eingebung echt ist und seine Taten gottgewollt sind. Jegliche Gefühle in ihm wurden ausgeschalten. Nur so sind seine fanatischen Taten und seine Willenskraft zu begreifen. Es scheint, als war es die Entwicklung der Menschen weg von der strikten Tugendhaftigkeit, die ihn dazu führte, sich ihnen zu entsagen. Er betrachtet sich selbst ja als ein den Menschen überlegenes Lebewesen. Er schätzt die Menschen als dumm ein, indem er sagt, sie sind nicht in der Lage, seine Taten zu begreifen. Viel mehr über den Menschen Jon Doe lässt sich nicht sagen, da sein Wesen vollkommen auf seine Auserwähltheit reduziert ist. Doe ist sich dieser Reduzierung durchaus bewusst, da er sich selbst als völlig unbedeutsam einschätzt und lediglich seine Taten als besonders charakterisiert. 

10. Kneipengespräch Summerset / Mills 

In einer Kneipe unterhalten sich die beiden Detectives nach Feierabend über den Fall. Dadurch tauschen sie auch erstmals private Gedanken miteinander aus, indem sie sich ihre Ansichten über die Menschen mitteilen. Dies geschieht mit Hilfe des Schuss-Gegenschuss Verfahrens und mittels spannungsvoller Beleuchtungstechnik. In der Diskussion verteidigt Mills sein optimistisches Bild von den Menschen, nachdem Summerset die Menschen als apathisch und desinteressiert deklariert. Mills wirft daraufhin Summerset vor, dass er sich eine derartige Meinung über die Welt nur einrede, da er nicht mehr viele Hoffnungen habe. Summerset hat den Glauben an das Gute im Menschen verloren und begreift sich gleichzeitig als Sympathisant der wertlosen Menschen, da er sich auch nicht als besser einschätzt. Somit steht er Doe in Grundzügen nahe. Ebenso wie Doe ist er überzeugt, dass die Menschheit tugendlos geworden ist. Mills will das wiederum ganz und gar nicht akzeptieren. 
Nach diesem Gespräch zwischen den beiden Männern kehren sie nach Hause. Mills klammert sich an seine Frau, die ihm Bestätigung in seinem Menschenbild liefert. Summerset wiederum liegt alleine auf seinem Bett , zertrümmert sein Metronom und wirft ein Messer auf seine Dartscheibe. Der Angle of View ist dabei die Dartscheibe selbst. Dadurch scheint es, als werfe er das Messer direkt auf den Zuschauer, zumal vorerst nicht erkennbar ist, worauf Summerset tatsächlich zielt.

Dadurch spricht uns der Film direkt an, dass wir es sind, die endlich einsehen sollen, wie verwerflich wir allzu oft handeln. Zuvor verwunderte es Summerset, wie ignorant Mills gegenüber dem Schlechten ist, was in jedem steckt. Dieses direkte Ansprechen an den Zuschauer ähnelt der Kaderumrandung, die Mills in Does Wohnung unternahm. 

11. Restaurantgespräch Summerset / Tracy 

Im Verlauf des Films wird die Gesellschaft, in der sich die Geschichte entwickelt, als etwas dargestellt, das jegliche Werte verloren hat. Sowohl Polizisten als auch der Mörder selbst sehen in den Menschen hauptsächlich negative Aspekte. Als das Bild der amerikanischen Gesellschaft habe ich die Einstellung auf der Straße verstanden, in der ein anonymer Werbevertreiber (man sieht den Kopf der Person nicht) versucht, mit simplen Sprüchen irgendwelche Flyer zu verteilen. Die unzählig vorbeilaufenden Passanten verhalten sich jedoch völlig ignorant ihm gegenüber und verweigern diese Zettel, ohne dies in irgendeiner Art und Weise gestikular zu begründen. Die Menschen leben individuell, ohne sich um einander zu kümmern oder einander zu beachten – es sei denn, man erhofft sich einen Vorteil für sich selbst. 
Innerhalb dieser Gesellschaft hat Tracy, Mills’ Frau, eine gesonderte Stellung. In einem Telefonat mit Detective Summerset, in dem sie um ein Treffen mit ihm bittet, gibt sie bekannt, dass sie niemanden außer ihm in der Stadt hier kennt. Sie steht somit außerhalb der als verwerflich dargestellten Gesellschaft, was in Does Augen anscheinend beneidenswert ist und ihn in seiner Opferwahl zu Ungunsten Tracys beeinflusst. 
Das von Tracy gewünschte Gespräch mit Summerset findet am Morgen nach dem Anruf in einer Imbisskette statt. Die Struktur der Unterhaltung spiegelt sich dabei in der Wahl der Einstellungsgrößen wieder. Vorerst beginnt Tracy, über Lapalien zu reden – dabei wählte Fincher eine Halbnaheinstellung. Summerset erkennt dabei, dass Tracy nicht über den eigentlichen Grund ihres Treffens redet. Man erkennt sein verwundertes Gesicht und sieht ihn in einer nahen Einstellung den Kopf senken, während Tracy noch im Gegenschuss in einer halbnahen Einstellung gezeigt wird. Erst als Summerset fragt, was ihr wirkliches Problem sei und Tracy daraufhin ehrlich antwortet, wird sie ebenfalls in nahen Einstellungen gezeigt. Somit übernimmt die Kamera Erzählcharakter, indem sie dem Zuschauer – bewusst oder unbewusst- mitteilt, wer in welchem Augenblick seine wahren Gefühle zum Ausdruck bringt oder anders formuliert: wer dem Zuschauer „näher“ ist. Natürlich wurde auch in dieser Sequenz darauf Wert gelegt, das die Umgebung, in der sich die Gesprächspartner befinden wieder hektisch erscheint und mit störenden Geräuschen unterlegt ist. Schließlich ist es auch Summersets Piepser, der die Unterhaltung beendet und den Zuschauer zurück in die kalte Alltagswelt zurückbringt. Auf dem Revier wird das folgende Gespräch zwischen Mills und Summerset vollkommen anders inszeniert. Hierbei sind die Figuren größten Teils mit dem Rücken zu einander positioniert und sind Teil der Hektik und der Gefühlslosigkeit. 

12. Does Wirkung auf die Detectives 

Die Taten und die Person des Jonathon Doe haben unterschiedliche Wirkungen auf die beiden Polizisten. Dabei verkörpern die Detectives ein breites Spektrum der Menschen und ihrer Einstellungen der Menschheit gegenüber. Während Detective Summerset mit seinem pessimistischen Weltbild ein dem Mörder recht ähnliches Verhältnis zu der Menschheit hat, reduziert Mills ihn auf einen Verrückten. Irgendwo zwischen den beiden Polizisten hält sich meines Erachtens der Großteil des Publikums auf. Mills möchte nicht wahrhaben, dass ein Serienmörder wie Doe in der Gesellschaft einen Platz hat. Er baut während des Films eine große Distanz zu der Person des Mörders auf, sei es durch direkte Äußerungen zu Doe oder die Art und Weise, wie er den Fall bearbeitet. Die Intention der Taten registriert er dabei nicht. Um so erschütternder wirkt die Schlusssequenz. Indem Mills Doe erschießt, zerfallen all seine Konstrukte über die Menschen. Plötzlich handelt er auf eine Weise, die er zuvor vehement als total übergeschnappt bezeichnete. Natürlich war exakt das der Punkt, den Doe erreichen wollte. Sein Plan, den Menschen zu zeigen, wie verwerflich und sündhaft sie wirklich sind, indem er die sieben Todsünden wörtlich nimmt, sah er als den Sinn seines Daseins. 
Detective Summerset hat sich während der Ermittlungen ein anderes Bild über Doe und seine Taten aufgebaut. Schon früh erkannte er, dass Doe viel mehr als ein Irrer ist. Summerset erkannte die methodische Vorgehensweise des Mörders und rechnete ihm ungeheuere Willensstärke zu. Seine Taten untersuchte er aus den Augen des Täters. Während Mills über Polizeiakten grübelte, studierte Summerset in der Bibliothek Werke, die Doe inspiriert haben könnten. Man kann sagen, dass Does Menschenbild mit dem von Summerset übereinstimmt. Von daher vermag Summerset die Beweggründe des Mörders verstehen, was jedoch nicht heißt, dass er sie in irgendeiner Art befürwortet. Als er in der Schlusssequenz erkennt, dass Doe es vermag, seine Ansichten Detective Mills aufzuzwingen, bringt Summerset die anerkennenden Worte heraus „Jon Doe ist uns überlegen.“ Im Verlauf des Films versuchte Summerset mehrmals sein Menschenbild anderen Mitmenschen zu verdeutlichen. In dem Kneipengespräch mit seinem Partner oder in dem Gespräch mit seinem Vorgesetzten, wobei Summerset erwähnt, wie jemand am vorigen Abend einem vor Angst auf dem Boden liegenden Passanten die Augen ausstacht. Als Summerset daraufhin meinte, dass er die Welt nicht mehr verstehen könne, antwortet sein Chef ihm, dass sie schon immer so gewesen sei. Vielleicht sieht Summerset darin Does Überlegenheit, dass er die Menschen ohne Worte von seiner Sicht der Menschen überzeugen kann. 

13. Der Wechsel der Atmosphäre 

Während des Großteils des Films herrscht eine düstere Atmosphäre. Überall ist der Lärm der Straße zu hören, Summerset hört bei Nacht die Schreie seiner Nachbarn, immer klingelt irgendwo ein Telefon. Der filmische Raum ist beengend und finster und auch das Wetter ist durchweg trüb und regnerisch. Am Ende des Films wandelt sich die Atmosphäre jedoch grundlegend. Erstmalig wählte Fincher eine Deep Space als Mise en Scène: jetzt befinden sich die Protagonisten in der sonnigen Natur, die weitwinklig und total, teilweise auch in Panoramaeinstellungen aufgenommen wurde. Die Orientierung im Raum fällt dem Zuschauer auch dank der Schwenks und der geschlossenen Inszenierung leicht. Der Sinn dessen ist eindeutig: Während die Detectives, besonders Detective Mills, im Verlauf ihrer Ermittlungen im Dunkeln tappen, so erscheint am Ende die Erleuchtung. Und geliefert wird sie von dem Mörder höchstpersönlich. 

14. Die Umkehrung: Opfer / Täter 

Zu dem Zeitpunkt, als sich Jon Doe freiwillig der Polizei stellt, kehren sich die Rollen der Hauptdarsteller um. Jon Doe wirkt nachdem er frische Kleidung bekommen hat als balancierter, ausgeglichener und hell inszenierter ungefährlicher Mensch. Die Detectives stehen wiederum zunehmend in dunklen Teilen des Bildes. 
Während Doe unbemerkt zu dem Dienstwagen gebracht wird, mit dem er und die beiden Detectives zu den zwei verbliebenen Opfern fahren, schüren sich um die beiden Detectives Pressejournalisten, und ein Hagel aus Blitzlichtern hämmert auf sie ein. Detective Mills wirkt optisch eher wie ein Verbrecher oder Täter, aufgrund der mit Pflastern verdeckten Wunden und des dunklen Anzuges, welcher das weiße Hemd verdeckt. 
Nachdem die beiden Detectives den Tatort des ersten Opfers mit dem Auto verlassen haben, betrachtet der Zuschauer das Wageninnere von dem Rücksitz aus. Diese Perspektive nimmt der Zuschauer nun erneut war. Jetzt sehen wir allerdings den subjektiven Blick des Mörders. Während einer anderen Autofahrt saß Summerset auf der Rückbank, womit Summersets Nähe zu dem Mörder ins Bild gesetzt wurde, welche ebenfalls erklärt, weshalb Summerset auch in das nun folgende Spiel mit der Kameraperspektive nicht einbezogen wird. 
Während der Autofahrt inszenierte Fincher die Problematik der Opfer- und Täterrolle mit geschickt gewählten Kameraperspektiven. Zu Beginn der Autofahrt ist es Mills, der durch die Gitterwand gezeigt wird, während der Zuschauer auf Doe einen ungehinderten Blick hat. Nur wenn Summerset einen Blick in den Rückspiegel wirft, sehen wir Doe durch das Gitter. Detective Summerset wird in das Spiel mit der Kameraperspektive nicht miteinbezogen. Man merkt bereits, dass sich zwischen Mills und Doe ein Konflikt entwickelt. 
Nach einer längeren Außenaufnahme des Wagens, die klar eine Bruchstelle darstellt, wechselt die Perspektivenwahl. Nun ist es wieder Doe, der hinter Gittern zu sehen ist, und Mills ist „frei“ sichtbar ist. Dies beruht auf dem Wechsel des Gesprächthemas. Nun reden sie nicht mehr ausschließlich über Does Werk, sondern über ihn direkt, als Mensch. Summerset spricht Doe beispielsweise an, wie er zu seiner Auserwählung steht und zu den Taten, die er begangen hat. Dadurch wird Doe gezwungen, aus seiner religiös fanatischen Welt auszutreten und über sein verborgenes Wesen zu reden; jenes, welches er mit der Zeit tief in sich eingesperrt hat. Passend dazu wird sein Gesicht von dem trapezförmigen Gitter verdeckt. 

In dem dritten „Kapitel“ des Gesprächs befinden sich bezeichnenderweise sowohl Doe als auch Mills hinter Gittern. Doe weicht Summersets persönlicher Frage aus, indem er die Frage an Mills weiterleitet. Er macht Mills den Vorwurf, dass er sich hinter einer Fassade versteckt und fasst seine Intentionen in Worte. Als er die Sünden seiner Opfer erläutert, regt er sich darüber auf, dass nur in einer „Scheiß-Welt“ wie dieser sie unschuldig tun können, ohne eine Miene zu verziehen. Daraufhin schneidet Fincher auf Mills eingefrorene Gezichtszüge. In diesem Gespräch zwischen Jon Doe und den beiden Detectives erklärt der Serienmörder auf eindrucksvolle Weise seine Beweggründe für die Taten. Ein besonderes Spiel entwickelt sich zwischen Doe und Detective Mills, der kaum ernst nimmt, was Doe zu sagen hat. Es bringt ihn aus der Fassung, wie Doe versucht, seine Taten zu erklären. Als Doe versucht, seine Überlegenheit gegenüber Mills auszudrücken, brüllt Mills den Verdächtigen voller Wut an, woraufhin Doe nur hämig grinst. 
Durch gut durchdachte Kameraeinstellungen erzählt David Fincher, an welchen Stellen die beiden Figuren Schwachpunkte haben. Detective Summerset wird in diese Inszenierungsart nicht miteinbezogen. Er nimmt zu diesem Zeitpunkt nicht an Does Spiel teil; warum, erklärt sich in dem Kneipengespräch zwischen den beiden Detectives. Das Schema der Perspektive wird von Summerset auch gebrochen, sobald er mit Detective Mills kommuniziert. 

15. Der Mörder als Hauptdarsteller 

Die Intention des Films ist es nicht, über die Taten des Serienmörders zu lästern. Der Mörder gilt vielmehr als Träger der Intention. Wie ich zuvor aufgezeigt habe, klagt der Film den Zuschauer an. Er soll uns wachrütteln. Im Verlauf der Ermittlungen – unterstützt durch die Betrachtungsweise der Hauptidentitätsfigur Mills – bauen wir einen großen Abstand zu den Taten auf, da sie unglaublich grausam sind. Jedoch fällt es dabei schwer, eine gewisse Faszination für den Mörder zu verneinen. Seine Vorgehensweise und sein unscheinbares Auftreten erzeugen ein ebenso großes Mysterium wie sie Abscheu hervorrufen. Der auftretende Zwiespalt über die moderne Menschheit wird durch die beiden Detectives in Worte gefasst. Beide äußern ihre Standpunkte bezüglich Jonathon Doe als einen Vertreter der Menschen. Der Konflikt der beiden Detectives wurde aufgrund der Taten des Serienmörders und der darauffolgenden Ermittlung angesprochen und diskutiert. Der Zuschauer wird dadurch mittels der Hauptcharaktäre bewusster in die Problematik einbezogen. Genaueres habe ich zuvor bereits erläutert. An vielen weiteren Stellen wird die Thematik auch am Rande behandelt. So zum Beispiel, als Tracy ihr Unwohlsein bezüglich der Stadt kundgibt und als Summerset erklärt, dass Frauen immer „Feuer“ rufen sollen, wenn sie vergewaltigt werden, da auf „Hilfe“ niemand hört. Im Prinzip geht es in dem ganzen Film darum, dem Zuschauer spüren zu lassen, dass die Menschen gewisse Schwachpunkte entwickelt haben. Am Ende des Films greift Doe die Thematik dessen erneut auf und bringt sie auf den Punkt. Zusätzlich zwingen Does Taten den Rezipienten sich ein Bild von dem beschriebenen, speziellen Menschen zu machen. Dabei hat der Zuschauer die Wahl, den Mörder als einen alltäglichen Bestandteil der Gesellschaft zu sehen, wie es Summerset tut, oder sich auf Mills Einschätzung einzulassen, welcher Does Eingliederung in die funktionierende Gesellschaft verneint. Letzteres erscheint mindestens unter filmischem Aspekt als logisch, denn der Film befasst sich deutlich intensiver mit Detective Mills als mit Summerset. Detective Summerset stellt während des Films hauptsächlich eine Begleitperson dar. So verfolgt zum Beispiel Mills nahezu alleine Doe in seinem Treppenhaus, Summerset beteiligt sich an der Verfolgung so gut wie gar nicht. Mills’ Privatleben wird intensiver beleuchtet. Erzählerisch fällt es dem Zuschauer leichter sein Augenmerk auf Mills zu richten, da sich der Polizist – wie wir Zuschauer – zu Beginn des Films in einer neuen Umgebung zurechtfinden muss. Auch bei der Wahl der Kameraeinstellungen wurde darauf geachtet, dass es dem Zuschauer leicht fällt, Mills als Bezugsperson auszumachen. So beobachten wir beispielsweise in der Parallelsequenz, in welcher Summerset in der Bibliothek und Mills bei sich zu Hause ist, Mills viel näher und können seine Gedankengänge, dank seiner Stimme, nachvollziehen. Umso erschütternder wirkt der Schluss des Films. Hier müssen wir uns eingestehen, dass Doe berechnend unsere Identitätsfigur von Anfang an zugrunde wirft. Der Held wird von dem Schurken niedergerichtet und wir mit ihm, auch wenn Doe es ist, der das Zeitliche segnet. Es fällt schwer, die Genialität und Aussagekraft von Does Werk zu leugnen. Und Doe war sich dessen bewusst. Versucht man, die Brutalität seiner Taten außer Acht zu lassen, so ist Does Werk nichts weiter als ein Wachrufen. Er teilt den Menschen mit, dass sie sich selbst einschätzen lernen sollten. Lässt man dabei den reliösen Aspekt, der Doe beflügelte, außer Acht, so bleibt die Intention des Films, nämlich die Kritik an den Menschen. Mit dem überwältigenden Finale, wobei der Held dramatisch gebrochen muss sich Mills eingestehen, dass auch er sündhaft ist. Er entdeckt in sich den Teil, der bei anderen Täter Grund genug war um ihnen hinterherzujagen und zu verhaften. Diese Entdeckung wirkt ähnlich schockierend für den Zuschauer. Es bedeutet für ihn, der sich mit dem Helden identifiziert hat, gleichzeitig, dass auch er sich selbst fragen muss, ob es immer die anderen sind, die es verdienen, bestraft zu werden. Bis zur Schlusssequenz plazierte sich der Zuschauer auf der eindeutig guten Seite, die versucht, das Böse aufzuhalten. Die Quelle des Verbrechens war etwas Außenstehendes und Abgegrenztes. Doch am Schluss müssen wir uns eingestehen, das dass Böse ganz und gar nicht so weit weg von uns war, sondern auch in uns steckt. Die Grenze zwischen dem Guten und dem Schlechten existierte nur in dem Kopf der Identitätsfigur, von ihm selbst erichtet und von uns mit Freuden übernommen. David Fincher vermochte es perfekt, diese Anregung zum Nachdenken hinter einen oberflächlich betrachtet ekelhaften Film zu verberegen. Begibt man sich jedoch freiwillig auf die Seite des Schurken und studiert seine Taten, wie er es selbst prophezeit hat, so erkennt man eine geschickt inszenierte Kritik an der so unglaublich hochgepriesenen Menschheit. 

16. Zusammenfassung 

Ich habe mit vorliegender Arbeit versucht, ein Charakterprofil von einem Serienmörder aufzustellen und dessen Bedeutung innerhalb der Figurenkonstellation des Filmes zu verdeutlichen. Anschließend habe ich versucht, die Auswirkungen dieser Konstellation auf den Vorgang der Rezeption des Films und auf den Rezipienten selbst zu erklären. Dabei funktioniert die erzählerische als auch die filmische Darstellung des Serienmörders als Träger der Intention. Die in meinen Augen am nahe liegendste Interpretationsvariante habe ich am Schluss der Arbeit erläutert. 
Wie ich zu dieser Interpretation gekommen bin, möchte ich nun in wenigen Worten zusammenfassen: 
Im Hauptteil des Films „Sieben“ herrscht eine düstere, beklemmende Atmosphäre, die vor allem durch low key Beleuchtung, nahen Einstellungen und ständigem Lärm als Atmogeräusche erzeugt wird. Innerhalb dieser Atmosphäre verfolgt der Zuschauer die verzweifelte Ermittlung zweier Detectives bezüglich einer Reihe von abstrakten Morden. Mit der freiwilligen Selbstauslieferung des Mörders findet ein markanter Stilbruch statt. Von nun an suggerieren helle und weite Einstellungen vorrangig im Unterbewussten des Zuschauer die Momente der Erkenntnis. Zudem werden im Film aufgebaute Strukturen, wie beispielsweise Figurenkonstellationen mitsamt ihrer Identifizierungsangebote umgeworfen. Dadurch wird der Zuschauer dazu gezwungen, den Bruch des Films auf sich selbst zu reflektieren. Er muss einsehen, dass für ihn aufgebaute und von ihm akzeptierte Denkmuster als falsch entlarvt werden. Mit dieser Erkenntnis bringt der Film seine Intention ans Tageslicht. Ebenso, wie am Ende die Sonne den Tag erhellt. 

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