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Ritual, Musik und Kunst im Angesicht des Todes 
in nicht-industriellen Gesellschaften

(2003)

Einleitung 

Der Verlust einer nahe stehenden Person wirft die Menschen über all aus ihrem alltäglichen Leben. In der Ethnologie bezeichnet man ein solches Ereignis als Auslöser eines kulturellen Dramas. Die Menschen entwickelten weltweit unterschiedliche Methoden in Angesicht des Todes, um nach und nach wieder zum Alltag des Lebens zurückkehren zu können. 

Die vorliegende Arbeit untersucht Wesensmerkmale von Todesritualen unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes von Musik in den Handlungen. Die Betrachtung des rituellen Umgangs mit dem Tod konzentriert sich auf außereuropäische Kulturen. Sie wirft somit einen Blick auf Aspekte des kulturell Fremden. 

Zum einen ist es Ziel der Arbeit Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten: Zwar geht jede Kultur auf ihre besondere Art und Weise mit dem Tod um, jedoch finden sich auch kulturübergreifende Entsprechungen. 

Der Hauptteil der Untersuchung betrachtet konkrete Beispiele von dokumentierten Todesritualen. Ich skizziere dokumentierte Rituale von sieben afrikanischen kulturellen Gruppen und einer asiatischen Gruppe. Ich werde dann versuchen Hintergründe und Funktionen von Ritualen sowie Intentionen der jeweiligen Beteiligten darzustellen. 

Vorliegende Arbeit basiert vor allem auf den Büchern Death and the regeneration of life, welches von Maurice Bloch und Jonathan Parry herausgegeben wurde und Aufsätze verschiedener Ethnologen mit unterschiedlichen Schwerpunkten beinhaltet; und dem Buch Celebration of Death, welches von Peter Metcalf und Richard Huntington verfasst wurde. 

1. Allgemeiner Teil 

1.1 Auswirkung eines Todesfalls auf die Gemeinschaft 

Maurice Bloch sieht in dem Tod ein Problem für jede kulturelle Gemeinschaft, deren Autoritätsstrukturen im Weberschen Sinne als traditionell legitimiert gelten können. Da sich die Autoritätsstrukturen in Gesellschaften dieser Art auf eine nicht hinterfragende Ordnung berufen, so gelten auch die Autoritätsstrukturen dadurch als legitimiert. In Gesellschaften, in denen die Macht mittels solcher traditionellen Muster legitimiert wird, erscheinen die Machtinhaber, so Bloch, als Hüter einer gut geordneten Welt. Bloch nennt den Tod (sowie die Geburt) einen Moment der Diskontinuität, der eine Herausforderung für die Stabilität einer Gesellschaft darstellt, die sich auf traditionelle Autorität beruft. Durch den Moment des Todes verlässt nicht nur eine Person eine Gesellschaft, sondern vorerst auch alle an diese Person geknüpften Rollen. Fabienne Will schreibt, dass der Tod „…unsere weltliche Existenz und alle daran gebundenen Werte vernichtet…“ und weist des weiteren daraufhin, dass die Geburt „…als Anfang des Lebens immer auch auf dessen Ende, den Tod verweist.“ Als Herausforderung für den Umgang mit dem Tod versteht Bloch die erfolgreiche Verneinung von der Individualität einer bestimmten Leiche. Individualität ist für die Vorstellung von traditionell legitimierten Autoritäten hinderlich, da sie das soziale Gefüge schwächt. 

Damit schließt Bloch an Robert Hertz an, der feststellt, dass der Verlust eines Mitglieds einer Gemeinschaft eine Schwächung derselben hervorruft: Wenn ein Individuum mit seinem Tod dem sozialen Gefüge entrissen wird, so entsteht eine Leerstelle. Die Gemeinschaft strebt dann danach, diese Leerstelle wieder auszufüllen, damit die soziale Ordnung aufrechterhalten wird. Je bedeutender die verstorbene Person für die Gemeinschaft gewesen ist, desto mehr Energien müssen aufgebracht werden, um die Leerstelle wieder zu füllen. Ein Beispiel hierfür ist die Situation eines verstorbenen Königs. Metcalf und Huntington nennen den Tod eines Königs ein politisches Drama, welches viele Menschen betrifft. Aus diesem Grund findet solch ein Tod besondere Betrachtung. Schon frühzeitig wird ausgehandelt, wer der nachfolgende Herrscher des Landes werden soll. Der Tod einer für die Gesellschaft einflussloseren Person, so stellt Hertz fest, findet entsprechend weniger Beachtung. Die soziale Rolle, in der sich eine Person befindet, hat somit auch nach deren Tod eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. 

1.2 Funktion des Glaubens 

Trotz der Schwächung der Gemeinschaft durch den Tod sind es gerade die Todesrituale, die dem kulturellen Erbe zu Bestand verhelfen können. Dadurch dass der Tod so endgültig und rücksichtslos ist, bietet die Vorstellung über den Tod oder das, was mit dem Menschen nach dem Tod passiert, Sicherheiten. Diese Sicherheiten erhalten meiner Meinung nach ihre Kraft aus der Tatsache heraus, dass wir den Tod nicht kennen bzw. nicht erfahren und anschließend darüber berichten können. Indem kulturelle Konzepte im Angesicht eines Todesfalls Vorstellungen über diesen bieten, erhalten diese Konzepte ihre Stärke. Der Einzelne verliert durch kulturell normierte Vorstellungen einen Teil der Verantwortung, sich selbst Gedanken über den Tod machen zu müssen. Todeskonzepte erleichtern somit den Umgang mit dem Tod. Vorstellungen über den Tod haben des weiteren den Zweck, das gemeinschaftliche Leben funktionieren zu lassen und einer Kultur Bestand zu geben. 

1.3 Funktion der Rituale 

Bloch beschreibt die Rituale im Umgang mit dem Tod als Möglichkeit, die Auswirkungen des Todes für die Gemeinschaft möglichst gering zu halten. In den Ritualen versucht die Gemeinschaft, den Verlust des Verstorbenen zu verarbeiten, indem sie die Herausforderung, welche der Tod für ihre Stabilität bedeutet, angeht: 
„… [I]n all societies where authority is linked to an ideal, unchanging order the funerary rituals have in one way or another to overcome individuality of a particular corpse and in particular the fact of its individual death which also implies the fact of its individual birth. This is because both death and birth negate the notion of eternal unchangingness.“ 

Bloch sieht demnach für traditionelle Gemeinschaften (im Sinne Webers) die größte Gefahr darin, dass die soziale Ordnung hinterfragt werden könnte, vor allem wenn ein Machtinhaber verstirbt. Somit wird im Umgang mit dem Tod einer jeden Person in einem gewissen Ausmaß deren Individualität rituell verneint. Eine Aufgabe, welche die Gemeinschaft damit zu erfüllen versucht ist trotz des Bewußtseins des Todes, dem singulären Ende, eine Kontinuität der sozialen Struktur zu erschaffen. 

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Totentänzen zu. Walter Salmen bezeichnet den universalen Sinn des Tanzens in diesem Zusammenhang als ein Zeichen für das Entstehen und für das Vergehen des Lebens. Anhand von Bespielen von Totentänzen werde ich diese symbolhaften Eigenschaften des Tanzes in Kapitel 2.2 und 2.3 darstellen. 

1.4 Das Verhältnis der Lebenden zu den Ahnen 

Neben dem Ersetzen der Person durch eine andere Person haben der Ahnenglaube und die Idee der Wiedergeburt eine weitverbreitete ähnliche regenerierende Funktion. In vielen Kulturen ist die Vorstellung präsent, dass Verstorbene sich unmittelbar nach ihrem Tod in einem Zwischenstadium befinden. Ein Übergangsritual hilft in dem Fall der Seele der verstorbenen Person, dieses Zwischenstadium zu überwinden und in die Welt der Toten zu gelangen. Arnold van Gennep beschrieb diesen in seinen Augen allgemein gültigen Charakter von Ritualen in seinem Buch The Rites of Passage. Der Verstorbene verlässt seinen Platz in einer sozialen Ordnung und begibt sich dann in die nächste, nämlich die soziale Ordnung der Toten. Da das soziale Ordnungsprinzip auch über den Tod hinaus noch funktioniert, scheint es von etwas Übermächtigen geschaffen worden zu sein, wodurch ein Hinterfragen der Normen unterdrückt wird. Häufig sind es auch die Ahnen, die für die Schaffung von sozialen Strukturen und sozialer Ordnung verantwortlich gemacht werden. Das Zwischenstadium, in dem sich der Verstorbene befindet bevor er wiedergeboren wird, bezeichnet van Gennep als liminale Phase. Victor Turner entwickelt diesen Begriff weiter und betont dabei die Bedeutung dieses „state of transition“. Solange sich ein Verstorbener in der liminalen Phase befindet, behandeln ihn die Hinterbliebenen als noch nicht zu den Toten gehörend. Die verstorbene Person hat weiterhin Einfluss auf die Lebenden und die Lebenden haben Einfluss auf die verstorbene Person. Hertz nannte diese Periode „transitory stage“. 

Häufig markieren mehrfach auftretende Beerdigungen diesen Glauben. Die Hinterbliebenen behandeln die verstorbene Person trotz des biologischen Todes für eine gewisse Zeit als noch nicht tot. Zuvor muss eine Leiche nach bestimmten Kriterien verändert werden, bevor sie in die Welt der Toten entlasen werden kann. So muss in manchen Gesellschaften das Fleisch erst verrotten, so dass die saubere Leiche (das Skelett) dann an einen anderen Ort gebracht werden kann, von dem die Seele der verstorbenen Person in die Welt der Toten reisen kann. Der physische Tot und der soziale Tod finden in solchen Fällen zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt. Die verstorbene Person gibt ihre soziale Position nicht auf einmal auf, sondern gibt der Gesellschaft länger Zeit, sich um die auftretende Leerstelle zu kümmern. 

Der Übergang von der Welt der Lebenden in die Welt der Toten wird, wie viele andere Übergänge während des Lebens einer Person, durch ein Übergangsritual, ein rite de passage gekennzeichnet. Van Gennep betont, dass das Übergangsritual der Beerdigung oft viele Ähnlichkeiten zu anderen rites de passage aufweist, wie die der Hochzeit oder Initiationsriten. Das Sterben und die Wiedergeburt werden in vielen Initiationsriten als Metaphern eingesetzt. Somit wird der Tod in den Verlauf des Lebens integriert. Der Tod wird zu einem Bestandteil des Lebens gemacht, auch, so argumentieren Bloch & Parry, um seine Unvorstellbarkeit zu verneinen. Große Bedeutung dabei kommt den dazu durchgeführten Ritualen bei. Emile Durkheim suchte bei seinen Forschungen nach einer Antwort auf die Frage, inwieweit eine Gesellschaft über deren kollektiven Repräsentationen, sprich über ihre Ritualen definiert werden kann. Rituale erschaffen und pflegen die soziale Ordnung und bieten starke Ausdrucksmöglichkeiten, um den jeweiligen kulturellen Glauben darzustellen. 

1.5 Die soziale Organisation und der Umgang mit dem Tod 

James Woodburn kommt zu der Erkenntnis, dass je vielschichtiger die sozialen Rollenverteilungen und Regeln einer Gesellschaft ausfallen, desto mehr Aufmerksamkeit wird für den Verlust eines Individuums aufgebracht. In einer Gesellschaft, deren Fortbestehen auf starker sozialer Kooperation basiert und in der die verschiedenen Mitglieder organisiert von einander abhängig sind, wird Verstorbenen besonders große Aufmerksamkeit gewidmet. Auch eine spezielle Arbeitsteilung und ein bedeutendes Altersklassensystem nehmen erheblichen Einfluss auf den Umgang mit dem Tod eines Gesellschaftsmitglieds. Beerdigungsrituale haben in dem Fall zwei Aufgaben: erstens wird der Verlust des Individuums verarbeitet und zweitens wird die Gesellschaft wieder regeneriert. Anders ist es in Gesellschaften, die weniger komplex organisiert sind. Mehrere Beispiele von afrikanischen Jäger und Sammler-Gesellschaften zeigen, dass eine gering ausgeprägte organisierte Sozialstruktur häufig mit relativ unkomplizierten Beerdigungsritualen einhergeht. Zudem kommt, dass häufig die materielle Kultur von Jäger und Sammler-Gesellschaften eine möglichst geringe Anzahl von Gebrauchsgegenständen umfasst. Ein gering ausgeprägtes Streben nach materiellen Reichtümern hat zur Folge, dass weniger vererbt wird als in Gesellschaften wie der unseren. Da die auftretende Leerstelle keine so großen Auswirkungen in dem sozialen Gefüge hinterläßt und weil die Hinterbliebenen keine großen Erbschaften erwarten, so argumentiert Woodburn, werden keine großartigen Rituale durchgeführt. Zudem haben viele Jäger und Sammler Gesellschaften keinen ausgeprägten Widergeburtsglauben oder Glauben an ein Leben nach dem Tod. Später werde ich den Umgang mit dem Tod in einigen Jäger und Sammlergesellschaften exemplarisch ausführen. 

1.6 Symbole des Todes 

Im Umgang mit dem Tod stellen viele Gesellschaften symbolische Verbindungen zu Sexualität, Geburt und weiblichen Aspekten her. Weibliche Aspekte stellen oft den Bezug zum Leben, männliche zum Bereich der Toten dar. In vielen Beerdigungsritualen werden Individualität und Unwiederholbarkeit verneint, indem der Prozeß des Todes mit dem Prozeß der Geburt in Verbindung gebracht wird. Der Tod führt zu neuem Leben, sowie das Leben zum Tode führt. Daher finden sich in vielen Beerdigungsritualen dieser Welt Symbole der Fruchtbarkeit und der Sexualität. „Some association of sex with death occurs in nearly every culture in the world. “ Dadurch findet eine symbolische Regeneration des Lebens in Angesicht des Todes statt. Diese Regenerierung führt zu der angestrebten Kontinuität der sozialen Gemeinschaft: 

„Life continues generation after generation, and in many societies it is this continuity that is focused on and enhanced during the rituals surrounding a death. The continuity of the living is a more palpable reality than the continuity of the dead. Consequently, it is common for life values of sexuality and fertility to dominate the symbolism of funerals. “ 

Diese symbolhafte Darstellung findet ihren Ausdruck unter anderem in der Musik. Im Folgenden werde ich Beispiele untersuchen, in denen derartige Symbole in Liedern benutzt werden. 

2. Beispiele kulturellen Verhaltens 

2.1 Die Berawan (Borneo) – Beispiel für die Verwendung von Musik 

2.1.1 Todesrituale 

In erster Linie hat sich Peter Metcalf mit den Ritualen der Berawan bezüglich deren Umgangs mit dem Tod beschäftigt. Die Berawan von Borneo vollziehen die bereits erwähnte zweifache Beerdigung. Es gibt dabei zwei große rituelle Feiern. Zwischen beiden Ritualen ist eine Zeitspanne von mindestens acht Monaten bis zu fünf Jahren. Die erste Zeremonie beginnt unmittelbar nach dem Tod. Hierbei wird die Leiche auf einen speziellen Stuhl gesetzt und für einen oder zwei Tage der Verwandtschaft präsentiert. Danach wird die Leiche vorübergehend in einem Sarg an einem bestimmten Ort gelagert. Wenn die Zeit für die zweite Zeremonie gekommen ist, wird der Sarg zu dem extra dafür vorgesehen Ort gebracht. Die zweite Zeremonie dauert bis zu zehn Tagen. An jedem Abend findet in unmittelbarer Nähe des Sarg Feiern statt. Diese Rituale sind für den Übergang des Verstorbenen in die Welt der Toten notwendig. Eine große Bedeutung kommt dabei den auf den Festen gesungenen Todesliedern zu. Diese Lieder stellen laut Metcalf den Höhepunkt der Todesrituale dar. Die Lieder unterstützen und lenken die Seele des Verstorbenen in das Land der Toten. Sie geben klare Anweisungen, wie die Reise vonstatten gehen sollte. 
2.1.2 Die Todeslieder 

Um den Inhalt der Todeslieder der Berawan transparent zu machen möchte ich hier Metcalf in voller Länge zitieren, wie er eine Sequenz aus dem Endstadium der Todesrituale beschreibt: 

The first to be sung has an important purpose, the recovery of any souls that may be tempted to wander off with that of the dead person, but it is sung in a lighthearted and playful manner. A verse is sung for every member of the community, and the soul of someone of the opposite sex is delegated to “pull“ the soul home. This is an opportunity for ribaldry and innuendo to which no one may object. 

The most important of the death songs comes next, and it is sung in a formal and serious manner. The lead singer stands beside the coffin facing upriver. He takes up a large bamboo, the one that was used to bring water to wash the corpse at death, and which has been preserved near the coffin since then. Lightly but firmly, he strikes the coffin with the end of the bamboo, making a resonant noise. Simultaneously, he calls on the soul to prepare for the journey to the land of the dead. The song instructs the soul to go to the river to wash. Having returned, the soul is told to put on fine attire, as appropriate to the sex of the dead person. Now it is told to go out of the longhouse and, without so much as glancing backward, to descend to the canoe at the river’s edge. 

At this point, the format of the song changes. Now successive verses consist of question posed by the journeying soul and answers provided by the living. The soul begins, through the voice of the lead singer: „What place is this, live ones? “ The reply comes from the chorus: “the place of the longhouse, dead one. “ The soul is instructed to paddle upstream. Then it asks its whereabouts and is told that it is at a small stream that joins the main river, a short distance above the longhouse. So the song proceeds upriver, mentioning all the places where side streams, named or unnamed, join the main river. Each time the site of a previous Berawan longhouse is passed, it is mentioned specifically. Every three or four verses the soul is urged to paddle vigorously making the spray fly up behind the canoe. 

Metcalfs Beschreibung der Todeslieder verdeutlichen den in Kapitel 1.4 erwähnten Glauben der Berawan: die Toten gelangen nicht unmittelbar mit dem physischen Tod auch in die Welt der Toten. Die verstorbene Seele benötigt weiterhin ihr soziales Umfeld, um endgültig zu den Toten zu gehören. Nachdem eine Person gestorben ist, wird weiterhin mit ihr geredet und ihr wird weiterhin Essen gereicht. Dadurch kommt in meinen Augen einerseits die Notwendigkeit der Zuwendung für die verstorbene Person zum Ausdruck, andererseits aber auch das Bedürfnis der Hinterbliebenen, den Verstorbenen sofort zu verlieren. Das soziale Umfeld des Verstorbenen versucht durch die Todeslieder die in Kapitel 1.1 beschriebene auftretende Leerstelle zu verarbeiten. Durch den Gesang vor allem im letzten Teil, indem alle Beteiligten in den Gesang einstimmen, wird eine Stimmung unter den Verbliebenen erzeugt, die heilende Wirkung zu haben scheint. Indem sie die Seele des Verstorbenen helfen ihren Weg zu finden, helfen sich die Hinterbliebenen auch selbst im Umgang mit dem Verlust eines nahestehenden Mitglieds der Gesellschaft. 

Viele der Lieder, die kurz nach dem Tod eines Mitgliedes gesungen werden ähneln Spielen. Diese spielerischen Lieder haben auch die Aufgabe die Seele des Verstorbenen zu unterhalten. Zudem haben sie natürlich auch unterhaltenden Charakter für die Hinterbliebenen, was zu einer Erleichterung im Umgang mit der Situation führt. 

Andere Musikstücke, welche in Berawan aufgeführt werden, haben einladenden und symbolischen Charakter: Das Trommeln hat ebenfalls festen Bestand in den Liedern. Metcalf sieht in dem Trommeln eine symbolische Darstellung des Lebens. Normalerweise dient es der Einladung der Ahnen, Metcalf erwähnt aber auch die Ähnlichkeit zu der Akustik des schlagenden Herzens – somit wird durch die Trommel der Tod mit dem Leben assoziiert. 

2.1.3 Soziale Funktion der Rituale 

Die Beerdigungsrituale der Berawan sind kollektive Ereignisse. Die Frau oder der Mann der/ des Verstorbene(n) und die Verwandtschaft bewirten die Gäste, die wiederum verpflichtet sind, an den Zeremonien teilzunehmen. Dieser kommunale Aspekt der Rituale hat, so Metcalf, „…a powerful integrative function. There is no more binding duty on the longhouse resident than that of participation in death rites.“ Im Angesicht des Todes verbindet sich die Berawan zu einer starken sozialen Gemeinschaft. Somit wird die Schwächung der Gemeinschaft durch den Verlust eines Mitglieds mit Demonstration von starkem Zusammenhalt versucht anzugehen. 

Die Todeslieder verbreiten zudem kulturelle Konzepte der Berawan. In den Mythen der Berawan lebten einst die Toten mit den Lebenden zusammen. Als dieses Zusammenleben zerbrach und die Welt der Toten mit der Welt der Lebenden getrennt wurde, wurden die Todesrituale mit ihren Liedern eingeführt. Da die Berawan entlang eines Flusses migrierten, und die reisende Seele entlang des Flusses jedes der zuvor bewohnten Gebiete erkennen soll, stellt die Reise der Seele zu der Welt der Toten auch eine Reise zurück in die Zeit dar, die von den früher bewohnten Plätzen markiert wird. 

„[The soul] moves from the larger-than-life heroes of a few generations ago, back past mythical ancestors that dug rivers and climbed the sky, to the creation itself. For the audience listening to them and participating in them, the death songs constitute an exposition of fundamental concepts of the Berawan worldview.“ 

Der Umgang mit dem Tod im allgemeinen und der Gesang auf Beerdigungszeremonien bei den Berawan im speziellen führt dazu, dass der für die Gemeinschaft gefährliche Tod benutzt wird, um die traditionelle Gemeinschaft zu pflegen. Mithilfe der Lieder verbreiten und stärken die Berawan zudem das kulturelle Erbe ihrer Vorfahren. Die Lieder dienen der Erleichterung im Umgang mit dem Tod. Obwohl sie für die verstorbene Person gesungen werden um ihren Übergang in die Welt der Toten zu erleichtern und um den vorübergehenden Aufenthalt der Seele unter den Lebenden sicherzustellen, so haben sie jedoch auch großes Schutzpotential für die Lebenden. Dieses Schutzpotential pflegt die Tradition im Umgang mit dem Tod. 

2.2 Die Lugbara (Uganda) – Beispiel für die rituelle Regenerierung der Gemeinschaft 

Im nun folgenden Teil möchte ich Licht auf die Beerdigungsrituale der Lugbara in Uganda werfen. Dabei soll deutlich werden, in welchem Ausmaß der Umgang mit dem Tod zum Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung beiträgt. Die Todesrituale bieten es an, die Bedeutung des Einsatzes von Tänzen in den Ritualen besondere Berücksichtigung zu schenken. Meine Darstellung bezieht sich auf die John Middletons Text Lugbara death. Middleton forschte langjährig bei den Lugbara und veröffentlichte mehrere Publikationen über diese Ethnie. 

2.2.1 Das soziale Umfeld 

Um den Hintergrund des rituellen Umgangs mit dem Tod zu beleuchten ist es notwendig den sozialen Kontext, in dem sich die Lugbara bewegen, kennenzulernen. Die Lugbara bewohnen ein dicht besiedeltes Land wodurch der Tod eine fast alltägliche Begebenheit wird. Die Bevölkerung ernährt sich auf der Basis der Landwirtschaft und als Ergänzung wird Viehzucht betrieben. Fruchtbares Land ist knapp und die Verteilung bedarf einer gewissen Ordnung. Traditionell liegt die politische Macht in den Händen der Ältesten der Familie, da die Alten als den Toden am nächsten angesehen werden. Wirkliche Autorität wird nur den Verstorbenen beigemessen. Dieses System beruht auf mythischen Erinnerungen über die Vorfahren. Diese Mythen werden vor allem in Beerdigungsritualen wieder und wieder erzählt und dargestellt. Viel mehr als andere Rituale – Geburtsrituale fallen im Vergleich weniger komplex aus – dienen bei den Lugbara Beerdigungsrituale dem Zweck der Stabilisierung der gesellschaftlichen Ordnung. Die Lugbara sind in Lineages unterteilt, die ebenfalls in Beerdigungsritualen gepflegt werden. Nach Woodburns Überlegungen (siehe Kapitel 1.5) müßten die Rituale und Vorstellung der sozialen Organisation entsprechend komplex ausfallen. 

2.2.2 Das Beerdigungsritual 

Mit dem Eintreten des Todes wird die Leiche gewaschen und rasiert. Im Anschluß wir die Leiche in die Haut eines Ochsen gewickelt und beerdigt. Mit der Beerdigung ist die Leiche nur noch ein ehemaliges Behältnis für die Seele der verstorbenen Person. Der Geist der Person geht in den Himmel und in die Wildnis der Umgebung. 

Eine Unterscheidung des Todesmomentes ist (wie in Kapitel 1.4 angedeutet) notwendig: der physische Tod findet nicht gleichzeitig mit dem sozialen Tod statt. Der physische Tod findet statt, wenn die Person aufhört zu atmen. Der soziale Tod ist differenzierter zu betrachten: sozial tot ist jemand, dessen soziale Identität in eine andersartige Identität transformiert wurde. Dies bedeutet einen Ausstieg aus sozialen Beziehungen zu Lebenden und einen Eintritt in die soziale Struktur der Toten der Gemeinschaft. 

Die Beerdigungsrituale beschäftigen sich mit dem Übergang des physisch Toten zum sozial Toten in Form von Übergangsriten. Um einen Übergang zu ermöglichen sind einige Voraussetzungen zu erfüllen. Idealerweise sollte ein Mensch zum Beispiel bei sich zu hause sterben und die Zeit voraussehen können. Trifft der Tod ein, sollten Verwandte bei ihm sein und die letzten Worte der verstorbenen Person hören. Wenn die Voraussetzungen für den Übergang nicht erfüllt sind, so werden Reinigungsrituale für den Verstorbenen vollzogen. Ziel der Reinigungsrituale ist es den physischen Tod mit dem sozialen Tod zusammenzubringen. 

2.2.3. Regenerierung der Gemeinschaft 

Beerdigungszeremonien haben aber auch immer die Aufgabe, die Gemeinschaft wieder zu regenerieren. Durkheims Aufzeichnungen ist hierbei besondere Aufmerksamkeiten zu widmen, da er erkannte, dass Rituale eine einmalige Funktion zur Stärkung von kommunalen Wahrnehmungen und sozialen Beziehungen beitragen. Ein wesentlicher Bestandteil fällt dabei bei den Lugbara den Todestänzen zu: „After the burial, or even with it, there are held various death dances, which are the main component in the process of restoring order. They are more than mere ‚dances‘; rather they are rituals by acting out certain mystical processes…. “ Mit Hilfe der Tänze wird die soziale Ordnung wieder hergestellt, die mit dem Todesfall angegriffen wird, da ein Mitglied der Gemeinschaft aus der Ordnung herausgetreten ist. Durkheim beschrieb auch diese Eigenschaft eines Todesfalls. Metcalf und Huntington geben Durkheim wie folgt wieder: 

„A death is a shock to the family group. Its members feel the family lessened and weakened, and so they draw together in reaction to the loss. What Durkheim finds important … is the way that other members of society feel moral pressure to put their behaviour in harmony with the feelings of the truly bereaved. “ 

Die Veranstaltungen der Lugbara sind öffentliche Ereignisse. Die Männer tanzen und treten im Rahmen ihrer Lineage aggressiv im Wettkampf auf. Die Männer kämpfen gegeneinander und beziehen sich immer wieder auf ihr soziales Umfeld, insbesondere auf ihre Clanzugehörigkeit und den Vorfahren dieses Clans. Die Frauen im Gegensatz dazu reden weniger über soziale Ordnungen, sondern stellen ihre Verbindung zu dem Außer – sozialen dar: sie demonstrieren ihre Rolle als Zugehörige zu der Außenwelt, der Sphäre der übersinnlichen Mächte. Während der Beerdigungszeremonien befinden sich die Teilnehmer in einer Art moralischer Verwirrung. Junge Menschen benutzen Todestänze, um ihre sexuellen Grenzen zu erweitern. Frauen dürfen nur bei diesen Tänzen, die in den Feldern stattfinden, ihre sexuellen Reize einsetzen. Das Ereignis des Todes wird (entsprechend Kapitel 1.6) dazu benutzt, um rituell den Kreislauf des Lebens zu schließen: der Tod führt zu Fruchtbarkeit, welche die jungen Paare in die Felder bringen. Es heißt, dass die Mädchen bei diesen Festen nicht schwanger werden, viel mehr wird die Fruchtbarkeit in die Felder getragen. Die Männer und Frauen rennen in die Felder und stellen dabei verbal ihre sozialen Identitäten dar. Mit dem Hinausrufen ihrer Identitäten vor dem Tanz wird der Bedrohung des Todes – die, nach dem Verständnis der Lugbara aus der Wildnis jenseits der Felder kommt – deutlich gemacht, dass die Teilnehmer keine Angst haben und dass die soziale Gruppe stark beieinander bleiben wird, um ihre Haushalte zu schützen. Verstärkt wird dies durch geschossene Pfeile gegen die Macht der Wildnis. Die darauf folgenden Tänze, bei denen die Stärke der sozialen Gruppe auch durch sexuelle Aktivitäten gefördert werden soll, heißen bei den Lugbara ongo. Im Gegensatz zu den ongo die hauptsächlich von Lineagemitglieder der verstorbenen Person besucht werden, gibt es noch eine zweite Tanzphase während der Beerdigungszeremonien, die abi – Tänze. Bei den abi nehmen Mitglieder aus anderen lineages teil, nämlich aus denen, in die die Töchter der verstorbenen Person eingeheiratet haben. Die Gastgeberlineage verteilt an die Gastlineages Pfeile, und es wird getanzt. Diese Tänze dienen dazu, die einheirateten Beziehungen der lineages zu stärken, da der Todesfall die Verbindung schwächte. Der Tod beeinflußt bei den Lugbara viele Gruppen, nicht nur die der verstorbenen Person. Der Tanz wird bei den Ritualen benutzt um Mitglieder verschiedener sozialer Ordnungssysteme wieder ihr Mitgliedsbewusstsein zu stärken. 

Bei den Lugbara finden Todestänze statt, die zum einen der Seele der verstorbenen Person helfen sollen, seinen neuen Platz in der Ordnung der Toten zu finden. Zum anderen dienen die Tänze zur Regenerierung der Ordnungssysteme der Hinterbliebenen. Diese Systeme erlitten mit dem Austreten eines Mitgliedes eine Schwächung, die unter anderem mit Hilfe der Todestänze wieder rückgängig gemacht werden sollen. 

2.3 Die Bara (Madagaskar) – Beispiel für die Verwendung von sexuellen Symbolen in Liedern 

In Kapitel 1.6 erwähnte ich bereits, das Sexualität und Fruchtbarkeit häufig Bestandteil der symbolischer Darstellung während Beerdigungszeremonien sind. Indem ich in diesem Kapitel den Fokus auf die Beerdigungslieder und -tänze der Bara lege, möchte ich zeigen wie die erwähnten Symbole exemplarisch benutzt werden. Zu diesem Zwecke ziehe ich die Beerdigungslieder und –tänze der Bara, einer Gruppe Pastoralisten in Madagaskar, heran, die vornehmlich von Richard Huntington erforscht worden ist. Seine Aufzeichnungen dienen im Folgenden auch als Hauptquelle. 

2.3.1 Beerdigungsrituale 

Die Bara zelebrieren in der Regel drei Zeremonien nach Verlust eines Mitgliedes der Gesellschaft. Nach wenigen Tage wird die Leiche zunächst beerdigt, wozu sich alle Gruppenangehörigen versammeln. Die zweite Zusammenkunft findet mit der ersten Ernte statt, nachdem die Person verstorben ist. Die dritte Zeremonie ist die zweite Beerdigung, nachdem das Fleisch der Leiche verrottet ist. Wie bereits beschrieben dienen diese Zeremonien auch in diesem Fall sowohl der Seele der verstorbenen Person als auch der Regenerierung der Gemeinschaft. Vor allem die letzten beiden Zeremonien stellen bei den Bara freudige Festlichkeiten dar. Huntington vergleicht diese Form der Beerdigung mit unserem Weihnachtsfest. Die Familien erleben sowohl Trauer als auch Feste, die freudig erwartet werden, wenn ein Mitglied aus ihren Reihen verstirbt. Die Vorfreude auf den feierlichen Teil wird erst bei dem jährlich stattfindenden Fest eingelöst, die stark gemeinschaftlichen Charakter haben. Diese Feste gelten allen, die im vorangegangenen Jahr verstorbenen sind. 

2.3.2. Weibliche und männliche Konzepte und deren Darstellung 

Um die symbolische Verwendung von Sexualität und Fruchtbarkeit in den Todesliedern der Bara zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die Konzepte der Bara von Männlichkeit und Weiblichkeit einer Person werfen: Die weibliche Sphäre ist den Lebenden zugeordnet, die männliche Sphäre gilt als den Ahnen nahe. Diese Attribute werden unmittelbar nach dem Tod der Person betont. Mit dem Tod werden zwei Häuser ausgewählt: eines bekommt weibliche Attribute, das andere männliche. Die ersten Tage wird die Leiche in dem weiblichen Haus aufbewahrt. In diesem Haus finden sich die Frauen der Familie zum Trauern zusammen. Die Männer befinden sich in dem männlichen Haus. Hier sind Trauer und verbale Ausdrücke wesentlich formaler. Das männliche Haus repräsentiert einen Ort, welcher der Welt der Toten nahe ist. Das weibliche Haus die Welt der Lebenden. An diesem Ort befindet sich die Leiche noch für einige Tage. Die Trennung der beiden Orte wird in der Nacht aufgehoben: die Mädchen kommen heraus, tanzen und singen. Die Jungen kommen gelegentlich hinzu und nehmen daran teil. Bei diesen Tänzen wird stark die Sexualität betont. Am dritten Tag kommen die Männer in das Haus der Frauen und nehmen die Leiche mit. Nachdem die Leiche in einen Sarg gelegt wurde, sind es die Jugendlichen, die den Sarg in Höhlen der nahegelegenen Berge tragen: „Only youth who have had sexual experience can take part in this episode, which is represented as a sexual contest between the girls and the boys for possession of the corpse.“ Die Sexualität wird im Zusammenhang mit dem Ereignis des Todes in ihrer intensivsten Art und Weise ausgelebt und thematisiert. Bei den Festen nach der ersten Ernte, der zweiten Zeremonie für den Verstorbenen, normalisiert sich das Verhalten der Teilnehmer diesbezüglich und es wird stattdessen viel konsumiert – Essen und Alkohol. Zwar wird auch getanzt, gesungen und sich amüsiert, jedoch fällt dies weniger extrem aus als bei der ersten Zeremonie. Bei der dritten Zeremonie, der endgültigen Beerdigung des Verstorbenen, ist der Unterschied zu der ersten Beerdigung noch deutlicher: jetzt wird überhaupt nicht getanzt oder gesungen. Die jungen Männer holen die Leiche aus ihrem Sarg, entfernen das verrottete Fleisch und bringen die sauberen Knochen an ihren endgültigen Platz: in die entsprechende Familienhöhle. Diese Zeremonie findet nur an einem Tag und außerhalb des Dorfes statt. Huntington interpretiert dieses Verhalten wie folgt: „Not surprisingly, the reburial signals a return to normality, one important aspect of which is that the deceased’s spouse is finally free to remarry.“ Es ist also der Moment des physischen Todes mit seiner schwächenden Funktion, der zu den stärksten Tänzen, Gesängen und Sexualitätsbetonungen führt. Mit diesen Mitteln wird versucht über den akuten Verlust der verstorbenen Person hinwegzukommen. 

Ein Bara balanciert lebenslang in sich männliche und weibliche Attribute: 

„As a biological being, a person is formed when the fertile blood of the mother’s womb is ordered by the sperm of the father during sexual intercourse. To be socially and economically successful, an individual must balance out his or her relationships with his mother’s and father’s families. “ 

Stirbt ein Mensch bei den Bara, kommt er in die Welt der Toten, die mit männlichen Attributen behaftet ist. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, indem der Tote in die Totenhöhle des Vaters gebracht wird, auch wenn es eine verheiratete Frau ist, denn das Leben eines Bara „…is seen as a journey leading gradually from mother’s womb to father’s tomb.“ Die Dominanz der männlichen Attribute der verstorbenen Person wird ausgeglichen und dargestellt, indem in den Tänzen und Gesängen weibliche Attribute betont werden: unter anderem Fruchtbarkeit, Sex und Geburt. Dies drückt sich vor allem in den Liedtexten aus, die in den ersten Nächten von den Mädchen nach dem Eintreffen des Todes gesungen werden. Huntington dokumentierte das Lied, welches 1970 am populärsten war (die Texte variieren Jahr für Jahr, die Thematik bleibt dieselbe): 

Now hide it 
Now hide it, boys 
Now hide it because there is death 
Together let us copulate 
Together let us copulate, boys 
Now hide it 
Now hide it, boys 

„Broo“ flies the quail 
To perch at the head of the sely tree 
The eye wants to sleep? 
The eye wants to copulate… 

Broo“ bedeutet soviel wie Ejakulation und Sexualverkehr. Quail bedeutet Bauch,eye meint Vagina. Auch die Geburt wird in Todesliedern thematisiert: 
O bright red 
O I am hurting now 
O bright red 
I am hurting from this birth 
O bright red 
My breasts have fallen heavily 
O I hurt, mother 
Massage my stomach 
Make it easier 

Das Umgehen mit dem Tod der Bara ist ein Beispiel für den Einsatz von Symbolen, die sich auf eine Weltwahrnehmung beziehen, in welcher der Tod in das Leben integriert ist. Diese Verbindung Leben/Tod findet besonderen Ausdruck in den Liedern der Bara. Die weiblichen Elemente der Person werden in den Beerdigungsritualen betont, um den Verlust an die Welt, die traditionell mit männlichen Attributen behaftet ist, auszudrücken. Diese Betonung drückt die Sehnsucht aus, diesen Verlust zu mildern; den Toten nicht als völlig verloren zu wissen. 

2.4 Jäger und Sammler-Gemeinschaften Afrikas: Hadza, Mbuti, Baka & !Kung 

Die Mehrheit der kulturellen Gruppen auf der Welt behandelt das Thema Tod relativ ausführlich. Oft ist in diesen Kulturen auch ein Glauben an ein Leben nach dem Tod vorhanden. Jedoch gibt es, wie bereits in Kapitel 1.1 und 1.5 erwähnt, auch ethnische Gruppen, deren Umgang mit dem Tod weniger komplex ausgebildet ist. James Woodburn hat vier Jäger und Sammler-Ethnien in Afrika betrachtet und kommt zu der Erkenntnis, dass in keiner der untersuchten Gruppen ein Glaube an Wiedergeburt in irgendeiner Art und Weise besteht, oder dass der Tod als eine Regeneration für die Gemeinschaft benutzt wird. Die vier von Woodburn untersuchten ethnischen Gruppen sind die Hadza (in Nord-Tansania), Mbuti (aus dem Kongo), die Baka (aus Kamerun) und die !Kung (aus Botswana und Namibia). 
2.4.1. Konzepte des Umgangs mit dem Tod 

Für alle vier untersuchten Gruppen trifft es zu, dass der Tod ein fester Bestandteil des Lebens ist. Dies gilt insbesondere für die Tiere, welche die Jäger töten. Im Gegensatz zu den Jägern und Sammlern ist das Töten von Tieren bei Pastoralisten und Feldbauern ein Akt zu besonderen Anlässen. Bei Jäger und Sammler-Gesellschaften wird dem Töten von Tieren rituell weit mehr Bedeutung zugeschrieben als dem Tod der Menschen. Bei den Hadza besteht ideologisch eine direkte Verbindung zwischen dem Töten von Tieren und der Fruchtbarkeit der Menschen. Es existieren viele Verbote und Regeln im Umgang mit dem Töten von Tieren und der Verteilung von Fleisch. Der Prozeß des Jagens ist mit der Fruchtbarkeit der Menschen verbunden, so ist zum Beispiel der Glaube verbreitet, dass ein Mann, dessen Frau ihre monatliche Blutung hat, nicht jagen kann, da das Gift seines Pfeils an Wirkung verloren hat. 

2.4.2 Das Verhalten von Jäger und Sammler-Gesellschaften bei Todesfällen 

Menschliche Todesfälle haben im Gegensatz dazu keine direkte Verbindung mit der Fruchtbarkeit der Gruppe. Stirbt ein Mensch, so werden nur wenige Prozeduren unternommen, um das Ereignis zu verarbeiten. Verstorbene Hadza werden schnell oder gar nicht beerdigt. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Hadza, wie alle Jäger und Sammler, ein stark nomadisches Leben führen. Die Menschen ziehen durch ihren Lebensraum, immer auf der Suche nach Nahrung. Dauerhafter Kontakt zu Gräbern ist daher gar nicht möglich. Die Notwendigkeit des Weiterziehens führt auch dazu, dass schwer Kranke häufig mit Essen und Trinken zurückgelassen werden. 

Der Tod eines Mitglieds der Hadza führt auch nicht zu großen Tabus. Der Witwer oder die Witwe hat das Recht, ohne Formalitäten erneut zu heiraten. Der Verstorbene hat keinen Einfluss auf das Leben der anderen, sodass, wie bei den Baka, Verstorbene nicht besänftigt werden müssen. Einige Hadza geben die Endgültigkeit und Einfachheit des Todes explizit wieder: „…when one dies, one rots and that is that.“ 

Ein ähnliches Konzept vom Tod haben die Baka: „When you’re dead, you’re dead and that’s the end of you.“ Die traditionelle Reaktion auf einen Verstorbenen, ist das über der Leiche zum Einstürzen gebrachte Haus. Im Anschluss verlassen die Baka das Gebiet und kehren nicht in diesen Teil des Waldes zurück. Die Baka suchen nicht nach einer Todesursache und glauben nicht an ein Leben nach dem Tod. Dieser einfache Umgang mit dem Tod erfährt jedoch zunehmen Druck von außen, wie Woodburn feststellen muss. Missionare und Nachbarn üben Druck aus und fordern eine ordentliche Beerdigung der Toten. Die traditionelle Umgangsweise der Baka mit dem Tod finden Nachbarn oft primitiv und anstößig. Vielerorts werden die Baka und andere Völker dahingehend beeinflusst, ihren Umgang mit dem Tod zu verändern und ihre Leichen zu beerdigen. 

2.4.3 Sonderfall der !Kung 

Die !Kung haben im Gegensatz zu den zuvor besprochenen Jägern und Sammlern ein klares Verständnis von einem Leben nach dem Tod. Die Beerdigung hat jedoch keinen Einfluss darauf. Die Toten haben Einfluss auf das Leben, jedoch finden keine Opfergaben oder Versuche der Beeinflussung von seitens der Lebenden statt. 
Die !Kung tanzen regelmäßig Tänze mit dem Ziel, das Böse und den Tod zu vertreiben. Diese Tänze werden von Tänzern getanzt, die sich in einem Trancezustand befinden. In Trance vermag der Tänzer die Geister zu sehen und sie zu vertreiben. 

Trotz des Glaubens an ein Leben nach dem Tod bei den !Kung findet der Tod in den untersuchten Jäger und Sammler-Gesellschaften relativ wenig Beachtung: „Human death is relatively invisible in these societies in comparison with societies whose members live in much larger communities and at much higher population densities.“ 

2.4.4 Fazit 

Woodburn findet in den untersuchten Jäger und Sammler-Gesellschaften Gemeinsamkeiten in deren Umgang mit dem Tod. Zum einen ist die Abschaffung der Leiche eine einfache Prozedur. Ein Todesfall hat keinen großen Einfluss auf das Leben der Hinterbliebenen und es wird nicht nach der Todesursache gesucht. Die Besitzgegenstände der verstorbenen Person werden mit der Person beerdigt oder werden schnellstmöglich an die Lebenden verteilt. Zusammenfassend stellt Woodburn fest, dass „beliefs and practices associated with death are in all four of these societies relatively simple…“ Diese Einfachheit bezieht Woodburn auf die soziale Organisation der Lebensweise dieser Gesellschaften: „…hunters and gatherers with relatively simple death belief and practises are those with what I have defined elsewhere as immediate-return rather than delayed-return economies, social organisation and values…“ Eine immediate-return economy ist dadurch gekennzeichnet, dass die Aktivitäten der Mitglieder auf die Gegenwart ausgerichtet sind und wenig Energien in dauerhafte Verbindungen oder Nahrungsreserven fließen. Bedeutend ist, dass es keine Betonung auf Abhängigkeit bezüglich Verwandter gibt oder keine organisierte hierarchische Ordnung. Stirbt jemand aus einer Gesellschaft, die so wenig strukturiert ist, ist es für die Gesellschaft nicht notwendig, die verstorbene Person zu ersetzen. 

Schlussbemerkung 

In immediate-return societies, wie in den besprochenen Jäger und Sammler Gesellschaften existieren wenige dauerhafte Verbindungen oder Verpflichtungen. Aus diesem Grund, so Woodburn, gibt es auch kaum Verpflichtungen für die Toten. Außerdem haben die Lebenden materiell nicht viel von Verstorbenen zu erwarten, da die materielle Kultur auf möglichst wenige Artefakte ausgerichtet ist, um möglichst mobil sein zu können. Woodburn fasst einen wichtigen Aufsatz wie folgt zusammen: „…an immediate-return system does not provide fertile ground for the ideological elaboration of death beliefs and practices in general, nor for a link between death and fertility in particular. “ Da eine immediate-return society nicht den fruchtbaren Boden für ideologische Ausarbeitung von Todesglauben bietet, hat sie auch keinen fruchtbaren Boden für die Ausarbeitung von komplexen, symbolisch bedeutsamen Todesliedern. Gesellschaften, deren Struktur Todesvorstellungen begünstigen, also laut Woodburn die delayed-return societies, drücken ihre Todesideen häufig symbolisch in Liedern aus. Diese beinhalten dann häufig die global weiterverbreitenden Symbole des Todes: Sexualität, Fruchtbarkeit und Wiedergeburt. Ziel dieser symbolischen Attributierung des Todes ist es sowohl die in eine andere Welt übergehende verstorbene Person unterstützend ihren Weg zu vereinfachen als auch die Wiederherstellung der sozialen Gemeinschaft nach Verlust eines Mitgliedes. 

Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu verdeutlichen, dass a) der Umgang mit dem Tod in unterschiedlichen kulturellen Gruppen in direktem Zusammenhang mit der sozialen Lebenswelt steht und b) anhand von Beispielen zu zeigen, welche Aufgabe der Einsatz von Musik in Beerdigungszeremonien hat. 

Todesrituale und Todeslieder und -tänze liefern wichtiges Material, um eine kulturelle Gemeinschaft und die darin lebenden Menschen zu verstehen. Menschen folgen im Angesicht des Todes einem weiten Spektrum von kulturellen Traditionen, um die Stabilität ihrer Gemeinschaft wiederherzustellen. Schriftliche Quellen bezüglich der einst durchgeführten Totentänze in der abendländischen Kultur sind nur marginal verfügbar. Ethnologische Studien über nicht industrielle Gesellschaften können zu dieser Thematik noch Untersuchungen durchführen. Die vorliegende Arbeit versuchte, ein Teil der ethnologischen Quellen über den Einsatz von Liedern in Beerdigungszeremonien darzustellen und darüber hinaus Interpretationen über deren Verwendung wiederzugeben. 

Literatur 

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1982 Death, women and power 
in: Bloch, Maurice & Parry, Jonathan (Hg.): Death and the regeneration of life; S. 211-230 
Cambridge University Press. 

Bloch, Maurice & Parry Jonathan 
1982 Introduction: death and the regeneration of life 
in: dieselben: Death and the regeneration of life; S. 1-44 
Cambridge University Press. 

Metcalf, Peter & Huntington, Richard 
1991 Celebrations of death; The anthropology of mortuary ritual 
Cambridge University Press. 

Middleton, John 
1982 Lugbara death 
in: Bloch, Maurice & Parry, Jonathan (Hg.): Death and the regeneration of life S. 134-154 
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Salmen, Walter 
1993 Zur Praxis von Totentänzen im Mittelalter 
in Link, Franz (Hg.): Tanz und Tod in Kunst und Literatur S. 119-126 
Berlin: Duncker & Humblot. 

van Gennep, Arnold 
1960 The Rites of Passage 
University of Chicago Press. 

Will, Fabienne 
2002 Geburt / Leben / Tod 
in Stiglegger, Marcus (Hg.): Kino der Extreme – Kulturanalytische Studien; S.10-28 
St. Augustin: Gardez! Verlag. 

Woodburn, James 
1982 Social dimensions of death in four African hunting and gathering societies 
in: Bloch, Maurice & Parry, Jonathan (Hg.): Death and the regeneration of life S. 187-210 
Cambridge: University Press . 

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